Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Was ist da drin? oder Warum behind the scenes - Fotografie eine zentrale Botschaft beinhaltet.

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Aus meiner Sicht ist Behind-the-Scenes-Fotografie eines der wirkungsvollsten Marketinginstrumente für Orchester.
Vielleicht nicht primär für langjährige Abonnentinnen und Abonnenten – sehr wohl aber für jene Menschen, die sich in der Zwischenwelt bewegen: „Soll ich?“ oder „Soll ich nicht?“

Die Gründe, die einem Konzertbesuch im Weg stehen, sind gut erforscht. Zahlen und Studien dazu lassen sich leicht nachlesen. Mich hat interessiert, wie diese Gründe im Alltag klingen. Also habe ich im Freundes- und Bekanntenkreis nachgefragt – bewusst offen, ohne zu differenzieren zwischen Oper, Symphonik oder Kammermusik.


Meine einzige Frage lautete:
„Warum gehst du nie in ein klassisches Konzert?“

Hier ein persönliches Best-of der Antworten:

„Vier Stunden sind mir zu lang.“
„Ich habe keinen Anzug.“
„Was soll ich unter alten Leuten?“
„Das ist Musik für Spießer.“
„Das ist mir zu abgehoben.“

Es handelt sich dabei um Aussagen von Menschen aus meinem unmittelbaren Umfeld – viele mit abgeschlossener Ausbildung oder Hochschulabschluss. Also keineswegs um fehlendes Interesse oder mangelnde Bildung. Vielmehr spiegeln diese Antworten ein Bild wider, das sich über Jahre verfestigt hat.

Und hier kommt die Fotografie ins Spiel.

Behind-the-Scenes-Fotografie ist der Türgriff.
Sie ist die persönlich gestaltete Einladungskarte. Sie beantwortet die Frage: Was ist da eigentlich drin?

Jedes Restaurant, an dem wir vorbeigehen und plötzlich Lust bekommen hineinzugehen, hat genau diese Neugier geweckt. Jedes Buch, das wir in einer Buchhandlung aufschlagen, hat diesen entscheidenden Schritt bereits geschafft. Es verspricht einen Abend, ein paar Stunden, einen anderen Blick.

Traditionelle Orchesterfotografie hingegen vermittelt Neueinsteigerinnen und Neueinsteigern oft ungewollt ein anderes Versprechen: Distanz. Förmlichkeit. Ernst.
Nicht, weil die Bilder schlecht gemacht wären – im Gegenteil, viele sind technisch hervorragend. Sondern weil sie austauschbar sind. Gleiche Posen, gleiche Perspektiven, gleiche Gesten. Für Menschen außerhalb des Systems bleibt wenig Raum für Identifikation.

In Social-Media-Timelines wirken solche Bilder oft wie ein Scrollbeschleuniger. Sie bestätigen das Gefühl: „Das ist nicht meine Welt.“

Ein gedankliches Experiment genügt: Versuchen Sie, Fotografien verschiedener großer und kleiner Orchester voneinander zu unterscheiden. Die Unterschiede sind oft marginal. Genau dadurch verstärken die Bilder unbeabsichtigt einige der Vorbehalte, die klassische Musik ohnehin begleiten.

Gute Behind-the-Scenes-Fotografie setzt hier an.
Sie dokumentiert nicht nur – sie erzählt.
Sie zeigt Nähe statt Etikette, Emotion statt Distanz, Menschen statt Rollen.

Simon Rattle im restlosen Glück.
Igor Levit, völlig versunken in der Musik.
Anna Netrebko, hinter einem Vorhang mit dem Handy.
Maxime Pascal, schweißnass beim Dirigieren.
Ein enger Backstageraum in einem der berühmtesten Häuser der Welt.
Eine Schlagwerkerin im Tanktop.
Raphaela Gromes, sich biegend vor Lachen.

Diese Momente haben Kraft. Sie haben Charme. Und sie verändern den Blick.
Zumindest sagen das jene Menschen, die mir zuvor erklärt hatten, warum sie nie ins Konzert gehen.

Wer hineinschauen darf, fühlt sich eingeladen.
Behind-the-Scenes-Fotografie ist kein Beiwerk – sie ist Botschaft.
Sie sagt: Schau, so sind wir. Menschen, die mit großer Hingabe etwas erschaffen. Und du darfst dabei sein.

Ja, diese Art von Fotografie verändert etwas.
Nicht laut, nicht sofort, nicht dramatisch.
Aber kontinuierlich. Sie baut Brücken, senkt Schwellen und bleibt im Bewusstsein.

Und vielleicht, ganz vielleicht, klickt irgendwann jemand auf einen Konzertlink, der noch nie einen Fuß in einen Konzertsaal gesetzt hat.
Einfach, weil sich eine Frage eingeschlichen hat: Was ist da eigentlich drin?”

 

Why Behind-the-Scenes Photography Matters for Orchestras

From my perspective, behind-the-scenes photography is one of the most powerful marketing tools an orchestra can use. Perhaps not primarily for long-time subscribers, but very much for those who find themselves in the in-between space: “Should I?” or “Should I not?”

The reasons why people hesitate to attend classical concerts have been widely researched. The data is there for anyone who wants to look it up. What interested me was how these reasons sound in everyday conversations. So I asked friends and acquaintances—deliberately without narrowing it down to opera, symphonic or chamber music.
My only question was simple:

“Why do you never go to classical concerts?”

Here is a personal best-of of the answers:

“Four hours is just too long.”
“I don’t own a suit.”
“What would I do among all those old people?”
“That’s music for snobs.”
“It feels too abstract, too distant.”

These are statements from people in my immediate circle—many of them university-educated or professionally trained. This is not about a lack of intelligence or curiosity. It is about an image that has solidified over time.

And this is where photography comes in.

Behind-the-scenes photography is the door handle.
It is the personally designed invitation card. It answers one essential question: What’s inside?

Every restaurant we walk past and suddenly feel drawn to has triggered exactly that curiosity. Every book we pick up in a bookstore has already done the hardest part—it has made us want to look closer. The restaurant promises a pleasant evening; the book promises a few hours away from everyday life.

Traditional orchestral photography, however, often sends a very different signal to newcomers—unintentionally so. It suggests distance, formality, seriousness.
Not because the images are poorly made. On the contrary, many are technically excellent. But they are interchangeable. The same poses, the same perspectives, the same gestures. For people outside the system, there is little room for identification.

In social media feeds, such images often act as scroll accelerators. They quietly confirm the thought: “This is not my world.”

Try a simple experiment: Mentally compare photographs from different well-known and lesser-known orchestras. The visual differences are often surprisingly small. In doing so, these images reinforce—without intending to—some of the very assumptions that already surround classical music.

Good behind-the-scenes photography starts at exactly this point.
It does not merely document—it tells a story.
It creates proximity instead of distance, emotion instead of etiquette, humanity instead of roles.

Simon Rattle in pure joy. Igor Levit completely immersed in the music.
Anna Netrebko hiding behind a curtain with her phone. Maxime Pascal conducting, drenched in sweat. A cramped backstage room in one of the world’s most famous venues. A percussionist in a tank top. Raphaela Gromes laughing uncontrollably after a joke.

These moments have strength. They have charm. And they shift perception.
At least, that is what the very people told me—the same people who had previously explained why they never attend concerts.

Those who are allowed to look inside feel invited.
Behind-the-scenes photography is not an accessory; it is the message.
It says: This is who we are. Ordinary people making an extraordinary effort to create something beautiful. And you are welcome to be part of it.

Yes, this kind of photography changes something.
Not instantly. Not dramatically.
But steadily.

It settles into the mind. It builds bridges. It lowers thresholds.
And perhaps—just perhaps—someone clicks on a concert link who has never set foot in a concert hall before. Simply because one question has taken hold: What’s inside?

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Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Storytelling in der Orchesterfotografie – Wenn Bilder beginnen, Musik zu sprechen

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Zugegeben: Der Begriff Storytelling ist überstrapaziert. Er wirkt wie ein Versprechen, das oft wiederholt und nur selten wirklich eingelöst wird. Artikel zu diesem Thema gibt es zuhauf – nicht jeder davon führt trotz eindringlicher Appelle zu einem tatsächlichen Erkenntnisgewinn. Vielleicht ist es an der Zeit, das Thema noch einmal neu zu betrachten. Und zwar mit Blick auf die Realität von Orchestern.

Doch was bedeutet es eigentlich, Geschichten in der Orchesterfotografie zu erzählen?
Gibt es diese Geschichten überhaupt?

Die klassische Orchesterfotografie befindet sich spürbar im Wandel. Erst vor wenigen Monaten stellte das Magazin Das Orchester die Frage nach zeitgemäßer Orchesterfotografie und stellte fest, dass die fotografische Darstellung von Orchestern im Vergleich zu anderen künstlerischen Disziplinen hinterherhinkt. Und ja: Eine Gruppe von achtzig Menschen fotografisch spannend umzusetzen, ist eine Herausforderung.

Gerade in dieser Größe liegt jedoch eine Chance. Storytelling kann dabei helfen, ein Orchester nicht nur zu zeigen, sondern erfahrbar zu machen. Die entscheidende Frage ist dabei weniger, welche Geschichten erzählt werden sollen oder welche Narrative verwendet werden.

Zielführender wäre: Wie sollen diese Geschichten erzählt werden?

Denn der erzählerische Wortschatz eines Orchesters ist, nüchtern betrachtet, begrenzt. Überspitzt gesagt: Eine Orchesterprobe hat keinen Plot. Und doch entstehen in ihr permanent Momente, die etwas erzählen – wenn man bereit ist, genau hinzusehen.

Hier beginnt die eigentliche Herausforderung. Zwischen ästhetischer Inszenierung und ehrlicher Erzählung verläuft ein schmaler Grat. Zu viel Glanz, und ein Bild verliert an Glaubwürdigkeit – besonders für Menschen, die noch keinen engen Bezug zur klassischen Musik haben. Zu viel vermeintliche „Authentizität“, und es droht Beliebigkeit. (Ich setze dieses Wort bewusst in Anführungszeichen, da ich nicht glaube, dass es so etwas wie objektive Authentizität in der Fotografie gibt.)

Ein Beispiel drängt sich auf.

Der Dirigent, die Dirigentin ist zweifellos das bevorzugte Motiv der Orchesterfotografie. Die ikonische Geste, der erhobene Arm, der konzentrierte Blick – all das erzählt innerhalb eines Augenblicks von Führung, Verantwortung und Hingabe. Es ist eine gute Geschichte. Aber sie ist abgenutzt, weil sie immer wieder auf dieselbe Weise erzählt wird.

Jede Dirigentin, jeder Dirigent arbeitet anders. Ich habe in den letzten Jahren unzählige erlebt. Und dennoch scheint es, als gäbe es visuell nur eine einzige Geschichte. Nicht, weil sich die Arbeit nicht unterscheidet, sondern weil die Bilder es nicht tun.

Dabei liegt gerade hier Raum für neue Perspektiven:
Wie sieht der Moment der Stille vor dem ersten Einsatz aus?
Wie zeigt sich eine musikalische Leitung, die nicht über dem Orchester steht, sondern Teil eines gemeinsamen Prozesses ist?

Währenddessen bleibt das Orchester selbst oft im Hintergrund – nicht im wörtlichen, sondern im erzählerischen Sinn. Musikerinnen und Musiker werden weltweit „bei der Arbeit“ gezeigt. Das ist richtig und wichtig. Aber gerade in diesen alltäglichen, realen Situationen liegt enormes erzählerisches Potenzial.

Am Ende läuft vieles auf zwei Begriffe hinaus: Spannung und Emotion. Denken Sie an eine Geschichte, die Sie wirklich berührt hat. Ein Buch, einen Film, ein Gespräch. Meist war es nicht der Plot allein, der gefesselt hat, sondern die Art, wie erzählt wurde. Mich fasziniert immer wieder, wie Autorinnen und Autoren aus scheinbar einfachen Situationen große Wirkung erzeugen – man denke an Marlen Haushofer oder an Haruki Murakami.

Behind-the-scenes-Fotografie ist immer ein Eingriff. Die Präsenz einer Kamera verändert eine Situation – und das ist nicht jedem angenehm. Hinzu kommt, dass hinter der Kamera ein Mensch steht, der entscheidet, welche Momente erzählenswert sind.

Deshalb ist Vertrauen zentral. Wenn vor einer Probe klar ist, wer fotografiert, wie gearbeitet wird und dass niemand ungefragt sichtbar gemacht wird, entsteht eine entspannte Atmosphäre. Mir ist es wichtig, vor dem Fotografieren Blickkontakt herzustellen – so zeigt sich schnell, wer sich gesehen fühlen möchte und wer nicht.

Meine Vereinbarung mit allen Orchestern war bisher immer eindeutig: Keine Fotografie wird ohne ausdrückliche Zustimmung veröffentlicht. Das sollte selbstverständlich sein. Und vielleicht ist es ein gutes Zeichen, dass mir noch nie jemand gesagt hat, ich solle leiser oder unauffälliger arbeiten.

Storytelling bedeutet nicht, schöne Bilder zu produzieren.
Es beginnt dort, wo sich Ästhetik und Ehrlichkeit begegnen. Nicht in der Pose, sondern im Prozess. Nicht im Ergebnis, sondern im Wunsch nach Begegnung zwischen Musiker:innen und Publikum.

 

Storytelling in Orchestral Photography – When Images Begin to Speak Music

Admittedly, the term “storytelling” feels overused—like a promise repeated too often and fulfilled too rarely. There is no shortage of articles and books on the subject, yet not every text, despite its insistence on following the “rules of storytelling,” actually offers new insight.
Perhaps it is time to look at the idea of storytelling again—this time with the specific needs of orchestras in mind.

But what does storytelling in orchestral photography actually mean?
Are there stories to be told at all?

Classical orchestral photography is undoubtedly in a state of transition. Only a few months ago, the German magazine Das Orchester raised the question of what contemporary orchestral photography should look like, noting that photography in the orchestral world lags behind other artistic disciplines. And indeed, photographing a group of eighty people in a creative and compelling way is no small challenge.

Precisely because orchestras are such large ensembles, storytelling offers new possibilities to get to know them more deeply. The question, however, is not so much which stories should be told, or which narratives should be chosen.

From my perspective, that question is already slightly off.
More helpful would be: Which stories does the audience want to hear?
And even that, to me, does not quite reach the core—especially given that the vocabulary from which orchestral stories can be formed is relatively limited. Put bluntly: an orchestra rehearsal does not follow a classical plot.

The more relevant question, therefore, is:
How should these stories be told?

This is where the real challenge begins. Between aesthetic staging and honest storytelling lies a very narrow line. Too much polish, and the image loses credibility—especially for those who are not yet classical music enthusiasts. Too much so-called “authenticity,” and the result risks becoming arbitrary or dull.
(I deliberately place “authenticity” in quotation marks here, as I am not convinced that such a thing truly exists in photography.)

Let’s make this visible through two familiar examples—at least in our mind’s eye.

The conductor is undoubtedly the object of desire for photographers and social media managers alike. And we all know the image: the one iconic pose that instantly tells the story of leadership, devotion, and control—the person who brings sound into being through gesture and presence. It is a powerful image. A good story.
And yet it feels worn.

Why? Because it has been told in exactly the same way too many times. Because the same visual vocabulary is repeatedly used to tell different stories. Every conductor works differently—I have encountered countless approaches over the years—and yet it often appears as though there were only one single narrative. Not because the stories are the same, but because they are told in the same way.

And precisely here lies the space for new—or newly told—stories.

What does the moment of silence before the first cue look like?
How does a conductor appear who does not act as an authority above the orchestra, but as part of a shared process?

Meanwhile, the orchestra itself often remains in the background—not literally, but narratively. Across continents and institutions, musicians are shown “at work.” This is unquestionably real. But situations that are deeply real are also the richest ground for storytelling—provided they are told with care, curiosity, and respect.

Again and again, it comes down to tension and emotion.

Think of a story that truly captivated you. A book, a film, a podcast, or something a colleague once told you. Chances are, it stayed with you because it touched you emotionally. Perhaps you wanted to know how it would end. Perhaps it was the way the story was told. I am repeatedly struck by how authors create masterpieces from seemingly simple plots—think of Marlen Haushofer’s The Wall, or certain novels by Haruki Murakami.

Of course, behind-the-scenes photography—whether explicitly framed as storytelling or not—always involves an intervention. The idea that an outsider might disturb the delicate ecosystem of a rehearsal is unsettling for some, and understandably so. Added to this is the fact that there is always a person behind the camera, bringing their own perspective on what is worth seeing.

This is where trust becomes essential.

If, before the rehearsal, I explain who I am, how I work, and make it clear that no one has to fear being made publicly visible in any form, the situation becomes noticeably more relaxed—and far more conducive to meaningful photographs. It is particularly important to me to establish eye contact with as many musicians as possible before shooting. It quickly becomes apparent who feels comfortable being photographed and who does not.

In fact, my agreement with every orchestra I have worked with has always been the same: no image is published without explicit permission. This should go without saying—ethically and legally—but it is worth stating clearly. Fortunately, I have never been asked to be quieter or less present during a rehearsal.

Storytelling is far more than creating a beautiful image.
True storytelling begins precisely in the tension between authenticity and aesthetics—not in arbitrariness, not in poses, but in process rather than result. Ultimately, it emerges from the desire to create a genuine encounter between musicians and audience.



  

 

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Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Das Unsichtbare sichtbar machen.

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Seien wir ehrlich: Es braucht nicht viel, um eine Kamera zu bedienen.
Mit etwas gutem Willen verlieren ISO, Blende und Belichtungszeit ihren Schrecken, und es ist kein Studium nötig, um in Lightroom zu Ergebnissen zu kommen, die online Anerkennung finden. Presets gibt es reichlich – günstig, schnell einsetzbar und oft erstaunlich wirkungsvoll. Das gilt für viele Bereiche der Fotografie. Und natürlich gilt es auch für die dokumentarische Arbeit. Auch für meine.

Schnelle, passable Ergebnisse können jedoch schnell in einer Art fotografischer Selbstzufriedenheit enden. Man verfehlt das Ziel nicht völlig – trifft es aber auch nicht wirklich. Zumindest dann nicht, wenn es darum geht, die Essenz eines Themas herauszuarbeiten. Die entscheidende Frage lautet deshalb:
Diene ich als Fotograf eher mir selbst – oder dem größeren Ganzen?

In diesem Zusammenhang beschäftigt mich vor allem eine Frage:
Worauf baut gute Fotografie aus einer Orchesterprobe eigentlich auf?

Auf einen Leitfaden?
Eher nicht. Provokant formuliert könnte man sagen: “Es gibt für die Orchesterfotografie keinen Leitfaden aber alle halten sich daran”

Die Vorstellung eines allgemeinen Leitfadens für Orchesterfotografie greift in jedem Fall zu kurz. Jedes Orchester ist ein lebendiges Geflecht aus individuellen Persönlichkeiten. Jede Probe ist ein einmaliges Zusammenspiel von Klang, Bewegung, Konzentration und Moment. Ein Regelwerk könnte Orientierung bieten, aber es würde niemals jene feinen Nuancen erfassen, die ein Orchester unverwechselbar machen. Hinzu kommen unzählige Faktoren, die jede fotografische Situation prägen: Licht, Raum, Atmosphäre, Zeit, Zugang, Perspektive. Ich habe in den letzten Jahren eine Bildsprache entwickelt, die dem entspricht, was ich zeigen möchte. Was mir jedoch lange gefehlt hat, war ein innerer Maßstab – ein Satz, der mich auch in schwierigen Situationen daran erinnert, worum es eigentlich geht.

Durch einen glücklichen Zufall bin ich auf einen Essay des Theologen Wolfgang Vögele gestoßen, der sich aus philosophischer Perspektive mit Fotografie beschäftigt. Darin zitiert er den Autor und Booker - Preisträger John Berger mit den Worten:

„Eine Fotografie ist gelungen, wenn der gewählte Moment ihrer Aufnahme ein Maß an Wahrheit enthält, das allgemein anwendbar ist, und wenn die Fotografie ebenso viel über das mitteilt, was auf ihr fehlt, wie über das, was sie abbildet.“

Der Satz wirkt zunächst sperrig. Für mich bedeutet er vor allem eines:
Ein gutes Foto zeigt nicht nur das Sichtbare, sondern macht auch das Unsichtbare spürbar.
Genau dort entsteht Spannung.

Dieses Prinzip gilt nicht nur für Fotografie. Filme, Serien und Bücher leben vom Geheimnis. Sie lassen Fragen offen, deuten an, nehmen vorweg statt alles zu erklären. Ohne dieses Moment entsteht keine Spannung – und ohne Spannung kein Interesse.

Wie so oft funktioniert ein Gedanke klarer als gegenteilige Feststellung, als Abgrenzung: Als ich diesen Gedanken nämlich auf viele der Orchester-Probenfotos angewendet habe, die mir täglich begegnen, wurde mir etwas klar: Viele dieser Bilder bleiben austauschbar, weil sie kein Geheimnis enthalten. Sie beantworten alle Fragen sofort. Gleiche Posen, gleiche Blickwinkel, gleiche Farbwelten – als gäbe es einen stillschweigenden Kodex, wie Orchester auszusehen haben.

Wer glaubt, Orchesterfotografie bestehe darin, Menschen und Instrumente zu zeigen, erkennt zwar das Offensichtliche – verfehlt aber das Entscheidende. Denn das Sichtbare allein macht ein Bild weder erinnernswert noch erzählenswert.

Ich nenne das für mich das Herbstblatt-Syndrom.
Nicht, weil das Motiv langweilig wäre, sondern weil der Blick darauf zur Routine geworden ist. John Berger beschreibt genau dieses Phänomen am Beispiel eines zu oft fotografierten Herbstblatts: Es steht für sich selbst, enthält keinen weiteren Kontext, kein Geheimnis – und langweilt deshalb schnell.

Mit Orchestern verhält es sich ähnlich. Wir wissen, wie Musiker:innen aussehen. Wir kennen Konzertsäle, Instrumente, Probenabläufe, zumindest in unserer Vorstellung. Für nahezu alle Menschen in unseren Kulturkreisen ist dieses Bild vertraut. Genau darin liegt die Herausforderung.

Arthur Schopenhauer formulierte einmal sinngemäß, dass große Erkenntnisse nicht darin bestehen, etwas völlig Neues zu sehen, sondern darin, das Offensichtliche neu zu denken. Für die Fotografie bedeutet das: Wir erfinden nichts. Wir verrenken uns nicht. Wir versuchen vielmehr, vertraute Situationen so zu betrachten, dass sie wieder Bedeutung bekommen.

Wer ein Orchester fotografiert, sollte sich deshalb nicht mit der Oberfläche zufriedengeben. Es geht nicht nur um Hände auf Saiten, Licht auf Blech oder Bewegung im Takt. Es geht darum, die Musik zu verstehen – ihre Spannungen, ihre Pausen, ihre stillen Übergänge. Das braucht Zeit: Zeit zum Zuhören, Zeit für Gespräche, Zeit für Präsenz.

Am Ende läuft es bei jeder Orchesterprobe auf eine zentrale Frage hinaus:
Gelingt es, dem Vertrauten neue Aufmerksamkeit zu schenken – und darin etwas sichtbar zu machen, das über das Offensichtliche hinausgeht?

Genau dort beginnt Fotografie, die bleibt.

On the Invisible: Notes on Photographing Orchestras

Let’s be honest: It does not take much to operate a camera today.
With a bit of goodwill, ISO, aperture and shutter speed quickly lose their intimidation factor, and no degree is required to achieve results in Lightroom that receive recognition online. Presets are widely available—affordable, easy to apply, and often surprisingly effective. This applies to many areas of photography. And of course, it also applies to documentary work. To my own work included.

Yet producing quick, acceptable results can easily lead to a certain photographic self-satisfaction. One does not entirely miss the target—but one does not quite hit it either. At least not when the aim is to distil the essence of a subject.
This leads to a central question:
As a photographer, am I primarily serving myself—or something larger?

In this context, one question occupies me in particular:
What does strong photography from an orchestra rehearsal actually build upon?

A guideline?
Unlikely.

Provocatively put, one might say: There is no guideline for orchestral photography—yet everyone seems to follow one.

The idea of a universal guide to orchestral photography inevitably falls short. Every orchestra is a living network of individual personalities. Every rehearsal is a unique interplay of sound, movement, focus and moment. A set of rules may offer orientation, but it can never capture the subtle nuances—the small gestures, the atmosphere—that make each orchestra distinct.

There are also countless variables shaping every photographic situation: light, space, mood, time, access, perspective. Over the past years, I have developed a visual language that reflects what I want to show. What I lacked for a long time, however, was an inner reference point—a sentence that would remind me, even in difficult situations, what truly matters.

By fortunate coincidence, I came across an essay by theologian Wolfgang Vögele, who approaches photography from a philosophical perspective. In it, he quotes the writer and Booker Prize winner John Berger:

“A photograph is successful when the chosen moment of its taking contains a measure of truth that is generally applicable, and when the photograph conveys as much about what is missing from it as about what it shows.”

The sentence feels dense at first. For me, it comes down to this:
A good photograph does not only show what is visible—it also makes the invisible perceptible.
This is where tension arises.

This principle extends far beyond photography. Films, series and books all live from a sense of mystery. They leave questions unanswered, suggest rather than explain, anticipate rather than reveal everything at once. Without this element, there is no tension—and without tension, no interest.

As is often the case, a thought becomes clearer when approached from the negative. Applying this idea to the many rehearsal photographs I encounter daily led to a simple realisation: many of them remain interchangeable because they contain no mystery. They answer every question immediately. The same poses, the same angles, the same colour palettes—as if there were an unspoken code dictating how orchestras should look.

Anyone who believes that orchestral photography is merely about showing people and instruments may recognise the visible—but misses what truly matters. The visible alone does not make an image memorable, nor does it make it worth telling.

I refer to this, for myself, as the autumn leaf syndrome.
Not because the subject itself is dull, but because the way we look at it has become routine. John Berger describes this phenomenon using the example of an over-photographed autumn leaf: it stands for itself alone, contains no additional context, no secret—and therefore quickly becomes boring.

The same applies to orchestras. We know what musicians look like. We are familiar with concert halls, instruments, rehearsal settings—at least in our imagination. For most people in our cultural context, these images are deeply familiar. And therein lies the challenge.

Arthur Schopenhauer once suggested that great insight does not lie in seeing something entirely new, but in thinking differently about what is already visible. For photography, this means: we invent nothing. We do not contort ourselves in search of novelty. Instead, we attempt to look at familiar situations in a way that restores meaning.

Anyone photographing an orchestra should therefore not be satisfied with surface alone. It is not just about hands on strings, reflections on brass, or movement in rhythm. It is about understanding the music—its tensions, its pauses, its quiet transitions. This takes time: time to listen, time for conversation, time to be present.

In the end, every orchestra rehearsal leads back to one central question:
Does it succeed in giving new attention to the familiar—and in making something visible that goes beyond the obvious?

That is where photography begins to endure.

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Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Muss es denn “Punk” sein?”

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Ihre Fotos gefallen mir ganz gut – aber muss es denn Punk sein?
Das passt doch nicht zum Orchester.“

Diesen Satz habe ich schon öfter gehört oder gelesen. Um die Antwort gleich vorwegzunehmen:
Ja, es muss. Und das aus einem einfachen Grund.

Sollten wir uns, liebe Leserin, lieber Leser, bei einem Shooting einmal persönlich begegnen, trage ich vermutlich mein liebstes T-Shirt – von dem ich mehrere identische Exemplare besitze. Darauf steht in großen Buchstaben:

“What’s more punk than the public library?”

Für mich bringt dieser Satz den Kern von Punk auf den Punkt. Es geht nicht um Äußerlichkeiten. Nicht um Lautstärke, nicht um Provokation. Es geht um Zugang. Um Teilhabe. Um die Überzeugung, dass Wissen, Kultur und Kunst nicht exklusiv sein sollten, sondern allen gehören.

Eine öffentliche Bibliothek ist kein rebellischer Ort im klassischen Sinne. Und doch ist sie radikal. Sie sagt: Das hier ist für dich. Ohne Eintritt. Ohne Vorwissen. Ohne Voraussetzungen.
Genau darin liegt für mich der demokratische Gedanke von Punk.

Überträgt man diesen Gedanken auf Orchestermusik, wird schnell klar, warum mich diese Haltung umtreibt. Klassische Musik ist eine der größten kulturellen Errungenschaften unserer Gesellschaft. Und dennoch haftet ihr das Image des Abgeschlossenen, des Elitären, des Nicht-für-alle an. Nicht, weil sie es ist – sondern weil sie oft so gezeigt wird.

Punk bedeutet für mich als Fotograf, diesem Bild etwas entgegenzusetzen. Meinem Gefühl zu folgen. Neue Wege zu gehen. Und dabei in Kauf zu nehmen, dass nicht jede Entscheidung sofort Zustimmung findet. Nicht um zu provozieren, sondern um zu erweitern. Um Räume zu öffnen, statt sie zu bewachen.

In meinem Fall bedeutet das, Probenarbeiten von Orchestern in einer Bildsprache zu zeigen, die Nähe zulässt. Die nicht erklärt, wie man sich zu verhalten hat, sondern einlädt, hinzuschauen. Eine Bildsprache, die nicht voraussetzt, dass man weiß, wie ein Orchester „funktioniert“, sondern Neugier weckt.

Der demokratische Gedanke dahinter ist einfach:
Niemand muss klassische Musik verstehen, um von ihr berührt zu werden. Niemand muss die Regeln kennen, um Teil dieses Erlebnisses zu sein.

Deshalb interessiert mich besonders, welche Momente für Menschen außerhalb der klassischen Musikblase anschlussfähig sind. Welche Bilder sprechen Menschen an, die noch nie in einem Konzertsaal waren? Welche Situationen zeigen Musikerinnen und Musiker nicht als Repräsentanten eines Systems, sondern als Menschen in einem gemeinsamen Prozess?

Genau darin liegt für mich die Aufgabe der Orchesterfotografie heute. Nicht darin, zu beweisen, wie bedeutend diese Kunstform ist. Sondern darin, sie zugänglich zu machen. Sichtbar. Erfahrbar. Menschlich.

Kurz gesagt: Neben dem Wunsch, Probenarbeiten so intensiv und ehrlich wie möglich zu zeigen, liegt dem Projekt ein zutiefst demokratischer Gedanke zugrunde.
Musik gehört nicht wenigen. Sie gehört allen, die bereit sind zuzuhören – oder hinzuschauen.

Genug gesagt.
Ich hoffe, Sie haben Freude beim Betrachten meiner Fotografien. Und wenn Sie möchten, schreiben Sie mir gern, was Sie davon halten:
mail@skw-photo.com

Ich freue mich darauf!

Does it have to be Punk?

“I quite like your photographs – but does it really have to be punk?
It doesn’t seem to fit an orchestra.”

I’ve heard or read this sentence more than once. So let me answer right away:
Yes, it does. And for a simple reason: If we ever meet in person during a shoot, chances are I’ll be wearing my favourite T-shirt – I own several identical ones. Printed on it, in large letters, is the sentence:

“What’s more punk than the public library?”

For me, this line captures the essence of punk perfectly.
It has nothing to do with appearance. Not with volume. Not with provocation.
It is about access. About participation. About the conviction that knowledge, culture and art should not be exclusive, but belong to everyone.

A public library is not rebellious in the conventional sense. And yet it is radical. It says: This is for you. No entrance fee. No prior knowledge. No prerequisites. That, to me, is the democratic core of punk.

When you transfer this idea to orchestral music, it becomes clear why this mindset matters to me. Classical music is one of the greatest cultural achievements of our society. And yet it is often perceived as closed-off, elitist, not-for-everyone. Not because it truly is – but because of the way it is so often presented.

For me, punk means countering that image as a photographer. Following my intuition. Choosing new paths. And accepting that not every decision will be met with immediate approval. Not to provoke, but to expand. To open spaces rather than guard them.

In practice, this means showing orchestral rehearsals in a visual language that allows closeness. One that doesn’t instruct people how to behave, but invites them to look. A visual language that doesn’t assume prior knowledge of how an orchestra “works,” but instead sparks curiosity.

The democratic idea behind this is simple:
No one needs to understand classical music in order to be moved by it.
No one needs to know the rules to be part of the experience.

That is why I am particularly interested in moments that resonate beyond the classical music bubble. Which images speak to people who have never set foot in a concert hall? Which situations show musicians not as representatives of a system, but as human beings engaged in a shared process?

This, to me, is the task of orchestral photography today. Not to prove how important this art form is. But to make it accessible. Visible. Experiential. Human.

In short: alongside the desire to show rehearsal work as intensely and honestly as possible, this project is driven by a deeply democratic idea.
Music does not belong to a few. It belongs to everyone willing to listen – or to look.

Enough said.
I hope you enjoy viewing my photographs. And if you’d like, feel free to write to me with your thoughts:
mail@skw-photo.com

I look forward to hearing from you.

 

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Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

“Refraiming the score” oder „Niemand interessiert sich für Fakten.“ (Henri Cartier-Bresson)

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Ich kenne kaum ein fotografisches Genre, auf das dieses Zitat besser zutrifft als auf die Konzertfotografie – und ganz besonders auf die Orchesterfotografie.

Warum das so ist, liegt auf der Hand. Erstens wissen wir alle, wie ein Orchester aussieht. Zweitens lässt sich Musik nicht fotografieren. Punkt. Und dennoch versuchen wir es immer wieder. Wenn Orchesterfotografie überhaupt eine Chance haben soll, dann über Emotion. Über Gefühl statt Fakten. Über Gänsehaut statt Geigenkasten.

Gerade diesem Ansatz wird in der Orchesterfotografie jedoch erstaunlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt – und das, obwohl das zugrunde liegende Zitat von einem der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts stammt.

Schauen wir uns das mal genauer an. Für mich lassen sich zwei Formen der Orchesterfotografie unterscheiden: die professionelle und die amateurhafte. Beide haben ihre Berechtigung, insbesondere im Kontext von Marketing und Kommunikation. Und doch fehlt mir bei beiden oft das Entscheidende: die Magie. Das Berührende. Das, was mich einen Moment länger verweilen lässt, statt weiterzuscrollen. Stattdessen sehe ich meist das, was ohnehin bekannt ist. Und genau danach wird geurteilt. Bilder formen Erwartungen.

Was mich dazu gebracht hat, den Blick auf Orchesterfotografie neu zu denken, ist eine einfache Beobachtung: Die meisten Fotografien berühren mich nicht. Sie wecken keine Neugier. Und das ist problematisch – denn es geht hier um eine der größten künstlerischen Leistungen, die Menschen hervorgebracht haben.

Was viele nicht wissen: Klassische Musik ist weder elitär noch steif. Sie ist körperlich, emotional, fordernd, manchmal roh. Diese Realität sichtbar zu machen, ist aus meiner Sicht die zentrale Aufgabe der Orchesterfotografie. Emotion. Hingabe. Leidenschaft. Persönliche Momente. Kleine Blicke. Große Gefühle. Harte Arbeit. Augenblicke, in denen Musikerinnen und Musiker nicht das tun, was man erwartet.

Und vor allem: Bilder, die überraschen und gängige Vorstellungen infrage stellen. Der geeignetste Ort dafür ist die Probe.

Doch auch wenn all das in einer Probe tatsächlich passiert, reicht es nicht aus, diese Momente beiläufig festzuhalten und auf einen Aha-Effekt zu hoffen. Ein Bild muss im Betrachter den Wunsch auslösen, genauer hinzusehen. Man muss es fühlen können. Die Emotion muss überspringen, hängen bleiben, eine Reaktion auslösen. Nur dann können Fotografien der Musik zumindest nahekommen.

Die Bildsprache – das eigentliche Kommunikationsmittel der Fotografie – spielt dabei eine entscheidende Rolle. Und kaum ein Medium eignet sich dafür so gut wie die Schwarzweißfotografie.

Solche Bilder entstehen leider nicht nebenbei. Sie erfordern Zeit, Geduld und Liebe.
Aber die Musik hat´s verdient.

“Refraiming the score” or “Nobody cares about facts.” (Henri Cartier-Bresson)

I can hardly think of any photographic genre where this quote fits better than concert photography – especially orchestra photography.

Why? First, everyone already knows what an orchestra looks like. Second, music simply cannot be photographed. Period. And yet, we try. The only way to give this thing called orchestra photography a real chance is through emotion. Feeling instead of facts. Goosebumps instead of violin cases.

Yet, this approach is shockingly rare in orchestra photography – even though the quote comes from one of the 20th century’s most important photographers.

Let’s take a closer look: For me, there are two kinds of orchestra photography – professional and amateur. Both have their place, especially in marketing. And yet, both often miss the one thing that matters: magic. The spark that moves you. The moment that stops you from scrolling. Instead, we mostly see what we already know – what everyone already knows. And everyone judges what they see.

What made me want to “reframe the score” is simple: most photographs don’t move me. They don’t ignite curiosity. And that’s a tragedy, because we’re talking about perhaps the greatest artistic achievement humanity has ever created.

What many people don’t realize is that classical music is far from elitist or stiff. Showing that, to me, is the core mission of an orchestra photographer: emotion. Dedication. Passion. Intimate moments. Subtle glances. Big feelings. Hard work. Moments when musicians do something completely unexpected. And most importantly: images that surprise, that break stereotypes. And the best place to capture this is during rehearsals.

Even though all this is happening in a rehearsal, a quick snapshot isn’t enough. A photo must spark curiosity, make the viewer want more. You need to feel the image. The emotions have to leap off the frame, grab hold, give goosebumps, feel authentic. Only then can photography even begin to do justice to the music. The visual language – the way photography communicates – is key. And no medium expresses this better than black-and-white photography.

Creating images like this takes time, patience, and sweat. But the music deserves nothing less.

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Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Authentizität vs situative Inszenierung.

Laut Duden bedeutet „authentisch“ so viel wie echt oder wahrhaftig. Eine Definition, die – betrachtet man die Vielzahl an Ratgebern, die erklären, wie man authentische Körpersprache erlernt oder ein authentischer Gentleman wird – etwas abgenutzt bis unglaubwürdig wirkt.

Dennoch wird Authentizität viel zugeschrieben: In der Markenentwicklung. In der Persönlichkeitsbildung. Im Bewerbungsgespräch. Im Dating. In der Kunst. Und natürlich in der Fotografie.

Den Begriff der Authentizität jedoch direkt mit Behind-the-Scenes-Fotografie zu verknüpfen, halte ich für problematisch.

Warum?

Jemanden authentisch zu fotografieren setzt voraus, diese Person wirklich gut zu kennen. Und selbst dann ist der Moment, in dem ein Foto entsteht, nur einer von vielen ebenso „echten“ Augenblicken, denen man theoretisch dieselbe Bedeutung zuschreiben könnte. Hinzu kommt das Licht – ein Faktor, der jede Situation maßgeblich beeinflusst und Mimik oder Körpersprache verstärken, verfremden oder sogar in einen wahrnehmbaren Widerspruch führen kann.

Einige Ratgeber zur authentischen Porträtfotografie empfehlen beispielsweise, das Model zu bitten, an einen traurigen Moment zu denken. Das Ergebnis ist oft eine eindringliche, emotionale Fotografie. Doch sie zeigt wiederum lediglich einen Ausschnitt der Persönlichkeit – den traurigen.

Ganz falsch ist dieser Ansatz nicht. Schließlich wird Authentizität häufig als Gegenpol zur Inszenierung verstanden. Dauerhafte Fröhlichkeit wäre demnach ebenso unecht. Und doch entsteht hier ein Paradoxon: Auch die Darstellung von Trauer ist eine Form der Inszenierung. Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, wie schwierig der Begriff ist.

Situative Inszenierung.

Behind-the-Scenes-Fotografie lebt davon, Einblicke zu geben – Momente zu zeigen, die dem Publikum normalerweise verborgen bleiben. Nicht inszeniert und deshalb interessant. So heißt es zumindest.

Und doch stimmt auch das nur bedingt. Würde ich nicht mit meiner Kamera das tun, was ich situative Inszenierung nenne – also die vorhandenen Faktoren Mensch, Raum und Licht bewusst zusammenzuführen –, sähen meine Fotografien von Orchesterproben aus wie ein beliebiges Familienalbum, das man vielleicht einmal im Jahr hervorholt.

Gerade diese Form der Inszenierung macht für mich den Reiz der Orchesterfotografie aus. Ich greife nicht ein. Ich beeinflusse keine Abläufe. Ich habe keinerlei Kontrolle darüber, wie sich Musikerinnen und Musiker fühlen oder was sie im nächsten Moment tun. Ich erzähle ausschließlich das, was geschieht.

Der Unterschied zwischen Authentizität und situativer Inszenierung liegt folglich nicht im Geschehen selbst.
Er liegt in der Bildsprache.

.Meine Aufgabe ist es, möglichst unsichtbar zu bleiben – und das Vorhandene in einer Bildsprache festzuhalten, die sich sowohl von vertrauter Inszenierung als auch von Beliebigkeit unterscheidet. Ich kombiniere sichtbare Faktoren und jenes gewisse Unsichtbare so, dass im Betrachter Emotion entsteht und das Bild im Gedächtnis bleibt. Licht, Perspektive, Raum und die Musiker:innen selbst bilden dabei eine Einheit. Die Bildsprache ist letztlich das entscheidende Kriterium dafür, ob eine Fotografie als berührend und glaubwürdig wahrgenommen wird – oder als austauschbar.

Dass ein Orchester aus Menschen besteht, die authentisch musizieren und handeln, steht außer Frage.
Meine Aufgabe ist nicht, diese Authentizität zu beweisen.
Meine Aufgabe ist es, sie im Zusammenspiel von Raum, Licht und Moment für das Publikum erfahrbar zu machen.

Authenticity vs. “Situational Staging”

According to the Duden dictionary, authentic means genuine or truthful. A definition that feels increasingly worn—if not slightly implausible—when one considers the countless guides explaining how to learn authentic body language or how to become an authentic gentleman.

And yet, authenticity is widely invoked. In brand development. In personal growth. In job interviews. In dating. In the arts. And, of course, in photography.

Linking the concept of authenticity directly to behind-the-scenes photography, however, strikes me as problematic.

Why?

Photographing someone “authentically” first requires knowing that person well. And even then, the moment in which a photograph is taken is only one among many equally “true” moments—each of which could, in theory, be granted the same significance. Add to this the role of light: a factor that profoundly shapes every situation, capable of reinforcing, distorting, or even contradicting facial expressions and body language.

Some guides to authentic portrait photography, for example, suggest asking the subject to think of a moment of sadness. The result is often a powerful, emotionally charged image. Yet it still shows only one fragment of a personality—the sad one.

This approach is not entirely misguided. Authenticity is frequently understood as the opposite of staging; perpetual cheerfulness would hardly seem genuine. And yet, a paradox emerges: the portrayal of sadness is itself a form of staging. At this point, it becomes clear just how elusive the concept of authenticity really is.

Situational Staging

Behind-the-scenes photography is said to thrive on offering insights—on showing moments usually hidden from the public. Unstaged, and therefore compelling. At least, that is the common assumption.

And yet, this is only partly true.

If I did not do what I call situational staging with my camera—consciously bringing together the existing elements of people, space, and light—my photographs of orchestra rehearsals would resemble a generic family album, one you might leaf through once a year at most.

It is precisely this form of staging that fascinates me about orchestral photography. I do not intervene. I do not influence processes. I have no control over how musicians feel or what they will do in the next moment. I merely tell what is happening.

The difference between authenticity and situational staging, therefore, does not lie in the event itself.
It lies in the visual language.

My task is to remain as invisible as possible—and to capture what is there in a visual language that sets itself apart from both familiar staging and arbitrariness. I bring together visible elements and that subtle, invisible quality in a way that evokes emotion in the viewer and allows the image to linger in memory. Light, perspective, space, and the musicians themselves form a single whole.

Visual language is ultimately the decisive factor in whether a photograph is perceived as moving and credible—or as interchangeable.

That an orchestra consists of people who act and make music authentically is beyond question.
My task is not to prove this authenticity.
My task is to make it tangible for the audience through the interplay of space, light, and moment.

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Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Zwei Jahre Orchestrapunk –  Licht, Klang, Rebellion.

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Es begann wie in einem guten Punk-Song: Mit einem lauten Knall.
In meinem Fall war es ein Gehörsturz, der alles veränderte. Ganz offensichtlich hatte ich es übertrieben. Meinen E-Bass verkaufte ich – samt Kabel und Verstärker – und musste einen neuen Weg finden, mich künstlerisch auszudrücken.

Also tat ich, was viele Rockmusiker vor mir getan haben:
Ich kaufte mir eine Kamera und fotografierte – zunächst mehr oder weniger das, was alle anderen auch fotografierten.

Als Kind zweier Welten – der Rebellion des Punk und der Komplexität der Klassik – trug ich jedoch schon länger eine Idee mit mir herum.:
Was wäre, wenn man die Welt der Orchester mit der Ästhetik des Punk konfrontieren würde?
Keine steifen Posen. Keine glattgebügelten PR-Bilder. Ausschließlich Proben.
Stattdessen: Schweiß, Spannung, Emotion.

Das Ziel war: Klassische Musik neu zu zeigen. Und meine Begeisterung für Mahler, Bach, Schostakowitsch oder Bruckner mit Menschen zu teilen, die glauben, diese Musik sei zu schwierig, zu elitär oder schlicht nicht für sie gemacht. Wie so oft klang die Idee im eigenen Kopf großartig. Und wie so oft fand sich zunächst kaum jemand, der diese Begeisterung teilte.

„Stellen Sie sich ein Orchester vor – aber nicht im Abendkleid und Anzug, sondern roh, ehrlich, wild.
Die Antworten waren höflich. Und endeten fast immer gleich:
Vielen Dank für Ihr Interesse. Wir verfügen über eigene Fotografen.
Eine Mail schloss sogar mit dem Satz: „Bitte sehen Sie von einer weiteren Kontaktaufnahme ab.“

Gut. Ich hatte auch außer einer Idee und ein paar Schwarzweisportraits nichts vorzuweisen.

Und dann – nach gefühlt unzähligen Mails, Telefonaten und Absagen – kam eine Nachricht vom European Union Youth Orchestra.
Das EUYO, eines der besten Jugendorchester der Welt - unter der Leitung von Antonio Pappano (den ich bei den Proben zu La Gioconda wieder traf)- war bereit für das Experiment in Grafenegg. Zwei Tage. Freie Hand.

Für die, die Grafenegg noch nicht kennen: Grafenegg ist ein besonderer Ort. Schloss und Park wirken märchenhaft, die Open-Air-Bühne ist offen, einladend, ohne Schwellenangst, ein richtiger Begegnungsort. Dass man mich einfach machen ließ, gab mir die Freiheit, nach jenen Motiven zu suchen, von denen ich überzeugt war, dass sie überraschen könnten. Und es funktionierte.

Was in den folgenden zwei Jahren geschah, hätte ich mir nicht ausmalen können: Interviews mit Kulturjournalist:innen, Einladungen, Veröffentlichungen, Preise. Vor allem aber: eine neue Heimat in einer Welt, die ich zuvor nur aus der Distanz bewundert hatte. Ich traf Menschen, die wie ich klassische Musik neu denken wollten. Allen voran Simon Rattle, der mich emotional unterstützte. Im Kern ging und geht es dabei immer um eines: Begeisterung.

Meine Begeisterung speist sich natürlich auch aus Rebellion – wobei Rebellion für mich bedeutet, Dinge anders und hoffentlich besser zu machen. Als Pädagoge und Musiker habe ich mich immer als Vermittler verstanden. Ich habe Schulklassen in Symphoniekonzerte geschleppt, Workshops organisiert, vor Klassenräumen gestanden und versucht, den Funken mit Begeisterung überspringen zu lassen.

Natürlich beschäftigt es mich, dass so viele Menschen mit klassischer Musik nichts anfangen können. Für mich ist das ungefähr so nachvollziehbar wie die Vorstellung, dass siebzig Prozent der Menschen keine Pizza mögen. Grundsätzlich ist es mir ja egal, wie hoch der Altersdurchschnitt im Konzertsaal ist, das ist Sache des Managements. Aber es ist mir nicht egal, dass das Marketing klassischer Musik viele Menschen gedanklich ausschließt – schlicht, weil es sie nicht anspricht.

Diese Musik macht etwas mit dir.
Sie zeigt dir Emotionen, von denen du nicht wusstest, dass es sie gibt.
Sie lässt dich staunen – unabhängig vom Alter.
Und genau deshalb muss sie zugänglich sein.

„Aber klassische Musik ist doch für alle da“, höre ich oft.
Das stimmt nur theoretisch. Die emotionalen und gedanklichen Hürden sind für viele noch immer hoch. Und die übliche Konzertfotografie hat daran ihren Anteil.

Wenn man möchte, dass mehr Menschen teilhaben, muss man das ignorieren, was nicht funktioniert.

Ich wollte eine neue Bildsprache für Orchester entwickeln – und das war emotional anspruchsvoll. Wir sind ja permanent von Bildern umgeben, die uns sagen, wie etwas auszusehen hat. Gerade in der klassischen Musik ist dieses Bild sehr klar definiert.

Wie also dem eigenen Empfinden folgen und gleichzeitig den Respekt vor Musik und Musiker:innen wahren? Wie bei jeder künstlerischen Ausbildung gibt es drei Antworten:
Erstens: Üben.
Zweitens: Üben.
Drittens: Üben.

Also habe Ich jede Gelegenheit genutzt, Orchester zu fotografieren. Kostenlos. Selbst finanziert. Von Salzburg bis Berlin, von Wien bis New York.

Jede Begegnung ist spannend. Und ich habe vor jedem Shooting Herzklopfen.

Aber natürlich gab es ganz besondere Momente:
Simon Rattle, der mir sagt: „Your images are fantastic. We need more of that!“
Der Portier der Elbphilharmonie, der mich durchs ganze Haus führt, weil ich mich hoffnungslos verlaufen habe.
Der Rauswurf aus einer Probe, weil man dem Intendanten nicht gesagt hatte dass ich komme.
Die Szene, in der ich bei einer Opernprobe Bühnenbilder trage, weil man mich für einen neuen Techniker hält.

Einige Bilder treffen einen Nerv, andere verpuffen. Manche muss ich löschen, andere lösen Begeisterung aus. Manche funktionieren sofort, andere brauchen Zeit.

Es ist wie bei einem Punk-Song.
Nicht jeder Akkord sitzt.
Aber wenn er trifft, dann trifft er dich.

Two Years of Orchestrapunk – Light, Sound, Rebellion.

It began like a good punk song: With a loud crash.
In my case, it was sudden hearing loss—an abrupt interruption that changed everything. I had clearly gone too far. I sold my electric bass, along with the cables and the amplifier, and had to find a new way to express myself creatively.

So I did what many rock musicians before me had done.
I bought a camera. At first, I photographed more or less what everyone else was photographing.

Yet I had been carrying an idea with me for some time. As a child of two worlds—the rebellion of punk and the complexity of classical music—I kept returning to the same question:
What would happen if orchestras were approached through the aesthetic of punk?

No stiff poses.
No polished PR imagery.
Only rehearsals.

Instead: Sweat, tension, emotion.

The goal was simple, and ambitious at the same time: To show classical music differently. To share my enthusiasm for Mahler, Bach, Shostakovich or Bruckner with people who believe this music is too difficult, too elitist, or simply not meant for them.

As so often, the idea sounded convincing in my own head. And just as often, I found very few people who shared that enthusiasm at first.

“Imagine an orchestra,” I would say, “not in evening gowns and suits, but raw, honest, untamed.”
The responses were polite. And they almost always ended the same way:
“Thank you for your interest. We work with our own photographers.”
One email even concluded with: “Please refrain from further contact.”

Fair enough. I had little to show—apart from an idea and a handful of black-and-white portraits.

Then, after what felt like countless emails, phone calls and rejections, a message arrived from the European Union Youth Orchestra. EUYO—one of the world’s leading youth orchestras—under the direction of Antonio Pappano, was willing to try the experiment in Grafenegg.

Two days. Complete freedom.

For those unfamiliar with Grafenegg: it is a remarkable place. The castle and park feel almost fairytale-like; the open-air stage is welcoming, accessible, free of intimidation—a place of encounter. Being trusted to simply work gave me the freedom to search for images I believed might surprise. And it worked.

What followed over the next two years exceeded anything I could have anticipated: Conversations with cultural journalists, invitations, publications, awards. Above all, I found a new sense of belonging in a world I had previously admired from a distance. I met people who, like me, wanted to rethink classical music. Above all, Simon Rattle, who offered genuine encouragement. At its core, it was always about one thing: enthusiasm.

My enthusiasm is undoubtedly rooted in rebellion—though rebellion, to me, simply means doing things differently, and hopefully better. As a musician and educator, I have always seen myself as a mediator. I dragged school classes to symphony concerts, organised workshops, stood in front of classrooms and tried—sometimes loudly—to let the spark catch.

Of course it concerns me that so many people feel disconnected from classical music. To me, that is about as comprehensible as the idea that seventy percent of people dislike pizza. I am not particularly concerned with the average age in the concert hall—that is a matter for management. But I do care that the marketing of classical music excludes many people mentally, simply by failing to address them.

This music does something to you.
It reveals emotions you did not know existed.
It makes you wonder—regardless of age.
And that is precisely why it must be accessible.

“But classical music is for everyone,” I hear often.
That may be true in theory. In practice, the emotional and psychological barriers remain high for many. And conventional concert photography has played its part in this.

If we want more people to participate, we have to stop repeating what does not work.

I wanted to develop a new visual language for orchestras—and that was emotionally demanding. We are constantly surrounded by images that dictate how things are supposed to look. In classical music in particular, this visual language is remarkably fixed.

So how do you follow your own perception while maintaining respect for the music and the musicians? As with any artistic training, there are three answers:
First: practice.
Second: practice.
Third: practice.

I took every opportunity to photograph orchestras. Unpaid. Self-financed. From Salzburg to Berlin, Vienna to New York.

Every encounter is intense. And before every shoot, I feel my heart race.

There were, of course, moments that stood out:
Simon Rattle telling me, “Your images are fantastic. We need more of that.”
A doorman at the Elbphilharmonie guiding me through the entire building because I was hopelessly lost.
Being thrown out of a rehearsal because the artistic director had not been informed of my presence.
Carrying stage elements during an opera rehearsal because I was mistaken for a new technician.

Some images strike a nerve; others fade away. Some must be deleted; others are met with enthusiasm. Some work immediately; others need time.

It is like a punk song.
Not every chord lands.
But when it does, it hits you.

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Sven-Kristian Wolf Sven-Kristian Wolf

Das „Eine kleine Nachtmusik“-Syndrom

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„Mozart war ein Wunderkind.“
„Beethoven komponierte taub.“
„Bruckner ging stundenlang zu Fuß zu seinen Orgelstunden.“

Solche Geschichten funktionieren im Musikunterricht. Sie sind eingängig, leicht zu vermitteln und erzeugen kurzfristige Aufmerksamkeit. Ich weiß das aus eigener Erfahrung – weil ich einige Jahre Musik an einer Brennpunktschule unterrichtet habe.

Sobald ich im Unterricht auf Bekanntes zurückgriff (ich wollte die Kids ja nicht überfordern) – etwa auf Mozarts Eine kleine Nachtmusik –, brach die Konzentration sofort ein. Nicht aus Ablehnung, sondern aus Wiedererkennung. Das Stück war bereits emotional eingeordnet: Bekannt, vorhersehbar, abgeschlossen, nichts für mich.

Diese Reaktion der Jugendlichen ist aufschlussreich. Sie zeigt, dass Wiedererkennbarkeit nicht automatisch Interesse erzeugt. Im Gegenteil: Sie kann Aufmerksamkeit sogar blockieren.

Ganz anders verhielt es sich, wenn ich Musik wählte, die weniger präsent, aber emotional unmittelbarer war – etwa Samuel Barbers Adagio oder Mahlers Adagietto. Indem ich mich selbst sichtbar auf diese Musik einließ und auch keine Scheu davor hatte zu zeigen wie sehr mich die Musik berührte, entstand ein Moment der Irritation. Und dann: Stille. Konzentration. Offenheit.

Die entscheidende Beobachtung war nicht musikalischer Natur. Es war die Kommunikation. Menschen lassen sich nicht immer über Bekanntheit erreichen, aber immer über emotionale Relevanz. Diese Erfahrung erklärt sehr genau, warum ich heute Fotografie als strategisches Kommunikationsinstrument für klassische Musik verstehe und warum ich so fotografiere wie ich es tue. Es geht nicht darum, Inhalte weiter zu erklären oder Bekanntes zu bestätigen. Es geht darum, einen ersten emotionalen Zugang zu schaffen – insbesondere für Menschen außerhalb des bestehenden Publikums. Mit Fotografie lassen sich heute weit mehr Menschen erreichen als in einem Klassenraum. Doch das Prinzip bleibt dasselbe:
Man muss dort ansetzen, wo Menschen stehen.

Ich arbeite bewusst nicht mit Vereinfachung, Stereotypen oder Imageglättung. Auch biedern sich meine Fotografien nicht an: Klassische Musik ist nicht „cool“ im jugendlichen Sinn. Sie ist nicht hip. Aber sie besitzt eine emotionale Tiefe und körperliche Wirkung, die kaum eine andere Kunstform erreicht. Genau das ist ihr stärkstes kommunikatives Kapital.

Strategische Kommunikation bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, Inhalte umzudeuten, sondern Zugänge zu verändern.

Was im Unterricht galt, gilt ebenso für die externe Kommunikation von Orchestern:
Wenn wir möchten, dass Menschen zuhören, müssen wir zuerst ihre Aufmerksamkeit gewinnen – und zwar nicht über Bekanntheit, sondern über Relevanz. Geschieht das nicht, ist es fraglich, ob weitere, vertiefende Schritte nicht das Ziel verfehlen.

Fotografie kann hier eine zentrale Rolle spielen. Nicht als dekoratives Beiwerk, nicht als reine Dokumentation, sondern als niedrigschwellige Einladung, sich emotional zu öffnen. Sie kann helfen, Wahrnehmungen zu verschieben, Erwartungen aufzubrechen und Neugier zu erzeugen – lange bevor jemand ein Programmheft aufschlägt oder eine Eintrittskarte kauft.

In einer Zeit, in der Aufmerksamkeit knapp ist, entscheidet nicht die Qualität des Angebots allein, sondern die Qualität des Zugangs. Genau hier setzt strategisch gedachte Orchesterfotografie an.

The “Eine kleine Nachtmusik Syndrome”.

“Mozart was a child prodigy.”
“Beethoven composed while deaf.”
“Bruckner walked for hours to attend his organ lessons.”

Stories like these work well in music education. They are easy to grasp, easy to communicate, and they generate short-term attention. I know this from experience—I taught music for several years at a school where attention could never be taken for granted.

The moment I relied on something familiar in class—trying not to overwhelm the students—such as Mozart’s Eine kleine Nachtmusik, concentration collapsed almost immediately. Not out of rejection, but out of recognition. The piece had already been emotionally categorised: familiar, predictable, finished, not for me.

This reaction is telling. It shows that recognisability does not automatically create interest. On the contrary, it can actively block attention.

The situation changed completely when I chose music that was less omnipresent but emotionally more immediate—Samuel Barber’s Adagio, or Mahler’s Adagietto. By visibly engaging with the music myself, and by not being afraid to show how deeply it moved me, a brief moment of irritation emerged. And then: silence. Focus. Openness.

The key insight here was not musical. It was communicative.

People are not always reached through familiarity—but they are reached through emotional relevance.

This experience explains precisely why I understand photography today as a strategic communication tool for classical music, and why I photograph the way I do. It is not about further explaining content or reinforcing what is already known. It is about creating an initial emotional point of access—especially for those outside the existing audience.

Photography today can reach far more people than a classroom ever could. But the principle remains the same:
You have to start where people are—not where institutions would like them to be.

I deliberately avoid simplification, stereotypes, or image-smoothing. My photographs do not try to ingratiate themselves. Classical music is not “cool” in a youthful sense. It is not hip. But it possesses an emotional depth and physical impact that few other art forms can match. This is its strongest communicative asset.

In this context, strategic communication does not mean reframing content—it means changing points of access.

What applied in the classroom applies equally to the external communication of orchestras:
If we want people to listen, we must first earn their attention—and not through recognisability, but through relevance. If this step fails, any subsequent attempt at deeper engagement risks missing its target.

Photography can play a central role here. Not as decoration. Not as pure documentation. But as a low-threshold invitation to emotional engagement. It can help shift perceptions, break expectations, and spark curiosity—long before anyone opens a programme booklet or buys a ticket.

At a time when attention is scarce, it is not the quality of the offer alone that matters, but the quality of the access.
This is precisely where strategically conceived orchestral photography begins.

 

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