Zwei Jahre Orchestrapunk – Licht, Klang, Rebellion.
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Es begann wie in einem guten Punk-Song: Mit einem lauten Knall.
In meinem Fall war es ein Gehörsturz, der alles veränderte. Ganz offensichtlich hatte ich es übertrieben. Meinen E-Bass verkaufte ich – samt Kabel und Verstärker – und musste einen neuen Weg finden, mich künstlerisch auszudrücken.
Also tat ich, was viele Rockmusiker vor mir getan haben:
Ich kaufte mir eine Kamera und fotografierte – zunächst mehr oder weniger das, was alle anderen auch fotografierten.
Als Kind zweier Welten – der Rebellion des Punk und der Komplexität der Klassik – trug ich jedoch schon länger eine Idee mit mir herum.:
Was wäre, wenn man die Welt der Orchester mit der Ästhetik des Punk konfrontieren würde?
Keine steifen Posen. Keine glattgebügelten PR-Bilder. Ausschließlich Proben.
Stattdessen: Schweiß, Spannung, Emotion.
Das Ziel war: Klassische Musik neu zu zeigen. Und meine Begeisterung für Mahler, Bach, Schostakowitsch oder Bruckner mit Menschen zu teilen, die glauben, diese Musik sei zu schwierig, zu elitär oder schlicht nicht für sie gemacht. Wie so oft klang die Idee im eigenen Kopf großartig. Und wie so oft fand sich zunächst kaum jemand, der diese Begeisterung teilte.
„Stellen Sie sich ein Orchester vor – aber nicht im Abendkleid und Anzug, sondern roh, ehrlich, wild.“
Die Antworten waren höflich. Und endeten fast immer gleich:
„Vielen Dank für Ihr Interesse. Wir verfügen über eigene Fotografen.“
Eine Mail schloss sogar mit dem Satz: „Bitte sehen Sie von einer weiteren Kontaktaufnahme ab.“
Gut. Ich hatte auch außer einer Idee und ein paar Schwarzweisportraits nichts vorzuweisen.
Und dann – nach gefühlt unzähligen Mails, Telefonaten und Absagen – kam eine Nachricht vom European Union Youth Orchestra.
Das EUYO, eines der besten Jugendorchester der Welt - unter der Leitung von Antonio Pappano (den ich bei den Proben zu La Gioconda wieder traf)- war bereit für das Experiment in Grafenegg. Zwei Tage. Freie Hand.
Für die, die Grafenegg noch nicht kennen: Grafenegg ist ein besonderer Ort. Schloss und Park wirken märchenhaft, die Open-Air-Bühne ist offen, einladend, ohne Schwellenangst, ein richtiger Begegnungsort. Dass man mich einfach machen ließ, gab mir die Freiheit, nach jenen Motiven zu suchen, von denen ich überzeugt war, dass sie überraschen könnten. Und es funktionierte.
Was in den folgenden zwei Jahren geschah, hätte ich mir nicht ausmalen können: Interviews mit Kulturjournalist:innen, Einladungen, Veröffentlichungen, Preise. Vor allem aber: eine neue Heimat in einer Welt, die ich zuvor nur aus der Distanz bewundert hatte. Ich traf Menschen, die wie ich klassische Musik neu denken wollten. Allen voran Simon Rattle, der mich emotional unterstützte. Im Kern ging und geht es dabei immer um eines: Begeisterung.
Meine Begeisterung speist sich natürlich auch aus Rebellion – wobei Rebellion für mich bedeutet, Dinge anders und hoffentlich besser zu machen. Als Pädagoge und Musiker habe ich mich immer als Vermittler verstanden. Ich habe Schulklassen in Symphoniekonzerte geschleppt, Workshops organisiert, vor Klassenräumen gestanden und versucht, den Funken mit Begeisterung überspringen zu lassen.
Natürlich beschäftigt es mich, dass so viele Menschen mit klassischer Musik nichts anfangen können. Für mich ist das ungefähr so nachvollziehbar wie die Vorstellung, dass siebzig Prozent der Menschen keine Pizza mögen. Grundsätzlich ist es mir ja egal, wie hoch der Altersdurchschnitt im Konzertsaal ist, das ist Sache des Managements. Aber es ist mir nicht egal, dass das Marketing klassischer Musik viele Menschen gedanklich ausschließt – schlicht, weil es sie nicht anspricht.
Diese Musik macht etwas mit dir.
Sie zeigt dir Emotionen, von denen du nicht wusstest, dass es sie gibt.
Sie lässt dich staunen – unabhängig vom Alter.
Und genau deshalb muss sie zugänglich sein.
„Aber klassische Musik ist doch für alle da“, höre ich oft.
Das stimmt nur theoretisch. Die emotionalen und gedanklichen Hürden sind für viele noch immer hoch. Und die übliche Konzertfotografie hat daran ihren Anteil.
Wenn man möchte, dass mehr Menschen teilhaben, muss man das ignorieren, was nicht funktioniert.
Ich wollte eine neue Bildsprache für Orchester entwickeln – und das war emotional anspruchsvoll. Wir sind ja permanent von Bildern umgeben, die uns sagen, wie etwas auszusehen hat. Gerade in der klassischen Musik ist dieses Bild sehr klar definiert.
Wie also dem eigenen Empfinden folgen und gleichzeitig den Respekt vor Musik und Musiker:innen wahren? Wie bei jeder künstlerischen Ausbildung gibt es drei Antworten:
Erstens: Üben.
Zweitens: Üben.
Drittens: Üben.
Also habe Ich jede Gelegenheit genutzt, Orchester zu fotografieren. Kostenlos. Selbst finanziert. Von Salzburg bis Berlin, von Wien bis New York.
Jede Begegnung ist spannend. Und ich habe vor jedem Shooting Herzklopfen.
Aber natürlich gab es ganz besondere Momente:
Simon Rattle, der mir sagt: „Your images are fantastic. We need more of that!“
Der Portier der Elbphilharmonie, der mich durchs ganze Haus führt, weil ich mich hoffnungslos verlaufen habe.
Der Rauswurf aus einer Probe, weil man dem Intendanten nicht gesagt hatte dass ich komme.
Die Szene, in der ich bei einer Opernprobe Bühnenbilder trage, weil man mich für einen neuen Techniker hält.
Einige Bilder treffen einen Nerv, andere verpuffen. Manche muss ich löschen, andere lösen Begeisterung aus. Manche funktionieren sofort, andere brauchen Zeit.
Es ist wie bei einem Punk-Song.
Nicht jeder Akkord sitzt.
Aber wenn er trifft, dann trifft er dich.
Two Years of Orchestrapunk – Light, Sound, Rebellion.
It began like a good punk song: With a loud crash.
In my case, it was sudden hearing loss—an abrupt interruption that changed everything. I had clearly gone too far. I sold my electric bass, along with the cables and the amplifier, and had to find a new way to express myself creatively.
So I did what many rock musicians before me had done.
I bought a camera. At first, I photographed more or less what everyone else was photographing.
Yet I had been carrying an idea with me for some time. As a child of two worlds—the rebellion of punk and the complexity of classical music—I kept returning to the same question:
What would happen if orchestras were approached through the aesthetic of punk?
No stiff poses.
No polished PR imagery.
Only rehearsals.
Instead: Sweat, tension, emotion.
The goal was simple, and ambitious at the same time: To show classical music differently. To share my enthusiasm for Mahler, Bach, Shostakovich or Bruckner with people who believe this music is too difficult, too elitist, or simply not meant for them.
As so often, the idea sounded convincing in my own head. And just as often, I found very few people who shared that enthusiasm at first.
“Imagine an orchestra,” I would say, “not in evening gowns and suits, but raw, honest, untamed.”
The responses were polite. And they almost always ended the same way:
“Thank you for your interest. We work with our own photographers.”
One email even concluded with: “Please refrain from further contact.”
Fair enough. I had little to show—apart from an idea and a handful of black-and-white portraits.
Then, after what felt like countless emails, phone calls and rejections, a message arrived from the European Union Youth Orchestra. EUYO—one of the world’s leading youth orchestras—under the direction of Antonio Pappano, was willing to try the experiment in Grafenegg.
Two days. Complete freedom.
For those unfamiliar with Grafenegg: it is a remarkable place. The castle and park feel almost fairytale-like; the open-air stage is welcoming, accessible, free of intimidation—a place of encounter. Being trusted to simply work gave me the freedom to search for images I believed might surprise. And it worked.
What followed over the next two years exceeded anything I could have anticipated: Conversations with cultural journalists, invitations, publications, awards. Above all, I found a new sense of belonging in a world I had previously admired from a distance. I met people who, like me, wanted to rethink classical music. Above all, Simon Rattle, who offered genuine encouragement. At its core, it was always about one thing: enthusiasm.
My enthusiasm is undoubtedly rooted in rebellion—though rebellion, to me, simply means doing things differently, and hopefully better. As a musician and educator, I have always seen myself as a mediator. I dragged school classes to symphony concerts, organised workshops, stood in front of classrooms and tried—sometimes loudly—to let the spark catch.
Of course it concerns me that so many people feel disconnected from classical music. To me, that is about as comprehensible as the idea that seventy percent of people dislike pizza. I am not particularly concerned with the average age in the concert hall—that is a matter for management. But I do care that the marketing of classical music excludes many people mentally, simply by failing to address them.
This music does something to you.
It reveals emotions you did not know existed.
It makes you wonder—regardless of age.
And that is precisely why it must be accessible.
“But classical music is for everyone,” I hear often.
That may be true in theory. In practice, the emotional and psychological barriers remain high for many. And conventional concert photography has played its part in this.
If we want more people to participate, we have to stop repeating what does not work.
I wanted to develop a new visual language for orchestras—and that was emotionally demanding. We are constantly surrounded by images that dictate how things are supposed to look. In classical music in particular, this visual language is remarkably fixed.
So how do you follow your own perception while maintaining respect for the music and the musicians? As with any artistic training, there are three answers:
First: practice.
Second: practice.
Third: practice.
I took every opportunity to photograph orchestras. Unpaid. Self-financed. From Salzburg to Berlin, Vienna to New York.
Every encounter is intense. And before every shoot, I feel my heart race.
There were, of course, moments that stood out:
Simon Rattle telling me, “Your images are fantastic. We need more of that.”
A doorman at the Elbphilharmonie guiding me through the entire building because I was hopelessly lost.
Being thrown out of a rehearsal because the artistic director had not been informed of my presence.
Carrying stage elements during an opera rehearsal because I was mistaken for a new technician.
Some images strike a nerve; others fade away. Some must be deleted; others are met with enthusiasm. Some work immediately; others need time.
It is like a punk song.
Not every chord lands.
But when it does, it hits you.