Das „Eine kleine Nachtmusik“-Syndrom
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„Mozart war ein Wunderkind.“
„Beethoven komponierte taub.“
„Bruckner ging stundenlang zu Fuß zu seinen Orgelstunden.“
Solche Geschichten funktionieren im Musikunterricht. Sie sind eingängig, leicht zu vermitteln und erzeugen kurzfristige Aufmerksamkeit. Ich weiß das aus eigener Erfahrung – weil ich einige Jahre Musik an einer Brennpunktschule unterrichtet habe.
Sobald ich im Unterricht auf Bekanntes zurückgriff (ich wollte die Kids ja nicht überfordern) – etwa auf Mozarts Eine kleine Nachtmusik –, brach die Konzentration sofort ein. Nicht aus Ablehnung, sondern aus Wiedererkennung. Das Stück war bereits emotional eingeordnet: Bekannt, vorhersehbar, abgeschlossen, nichts für mich.
Diese Reaktion der Jugendlichen ist aufschlussreich. Sie zeigt, dass Wiedererkennbarkeit nicht automatisch Interesse erzeugt. Im Gegenteil: Sie kann Aufmerksamkeit sogar blockieren.
Ganz anders verhielt es sich, wenn ich Musik wählte, die weniger präsent, aber emotional unmittelbarer war – etwa Samuel Barbers Adagio oder Mahlers Adagietto. Indem ich mich selbst sichtbar auf diese Musik einließ und auch keine Scheu davor hatte zu zeigen wie sehr mich die Musik berührte, entstand ein Moment der Irritation. Und dann: Stille. Konzentration. Offenheit.
Die entscheidende Beobachtung war nicht musikalischer Natur. Es war die Kommunikation. Menschen lassen sich nicht immer über Bekanntheit erreichen, aber immer über emotionale Relevanz. Diese Erfahrung erklärt sehr genau, warum ich heute Fotografie als strategisches Kommunikationsinstrument für klassische Musik verstehe und warum ich so fotografiere wie ich es tue. Es geht nicht darum, Inhalte weiter zu erklären oder Bekanntes zu bestätigen. Es geht darum, einen ersten emotionalen Zugang zu schaffen – insbesondere für Menschen außerhalb des bestehenden Publikums. Mit Fotografie lassen sich heute weit mehr Menschen erreichen als in einem Klassenraum. Doch das Prinzip bleibt dasselbe:
Man muss dort ansetzen, wo Menschen stehen.
Ich arbeite bewusst nicht mit Vereinfachung, Stereotypen oder Imageglättung. Auch biedern sich meine Fotografien nicht an: Klassische Musik ist nicht „cool“ im jugendlichen Sinn. Sie ist nicht hip. Aber sie besitzt eine emotionale Tiefe und körperliche Wirkung, die kaum eine andere Kunstform erreicht. Genau das ist ihr stärkstes kommunikatives Kapital.
Strategische Kommunikation bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, Inhalte umzudeuten, sondern Zugänge zu verändern.
Was im Unterricht galt, gilt ebenso für die externe Kommunikation von Orchestern:
Wenn wir möchten, dass Menschen zuhören, müssen wir zuerst ihre Aufmerksamkeit gewinnen – und zwar nicht über Bekanntheit, sondern über Relevanz. Geschieht das nicht, ist es fraglich, ob weitere, vertiefende Schritte nicht das Ziel verfehlen.
Fotografie kann hier eine zentrale Rolle spielen. Nicht als dekoratives Beiwerk, nicht als reine Dokumentation, sondern als niedrigschwellige Einladung, sich emotional zu öffnen. Sie kann helfen, Wahrnehmungen zu verschieben, Erwartungen aufzubrechen und Neugier zu erzeugen – lange bevor jemand ein Programmheft aufschlägt oder eine Eintrittskarte kauft.
In einer Zeit, in der Aufmerksamkeit knapp ist, entscheidet nicht die Qualität des Angebots allein, sondern die Qualität des Zugangs. Genau hier setzt strategisch gedachte Orchesterfotografie an.
The “Eine kleine Nachtmusik Syndrome”.
“Mozart was a child prodigy.”
“Beethoven composed while deaf.”
“Bruckner walked for hours to attend his organ lessons.”
Stories like these work well in music education. They are easy to grasp, easy to communicate, and they generate short-term attention. I know this from experience—I taught music for several years at a school where attention could never be taken for granted.
The moment I relied on something familiar in class—trying not to overwhelm the students—such as Mozart’s Eine kleine Nachtmusik, concentration collapsed almost immediately. Not out of rejection, but out of recognition. The piece had already been emotionally categorised: familiar, predictable, finished, not for me.
This reaction is telling. It shows that recognisability does not automatically create interest. On the contrary, it can actively block attention.
The situation changed completely when I chose music that was less omnipresent but emotionally more immediate—Samuel Barber’s Adagio, or Mahler’s Adagietto. By visibly engaging with the music myself, and by not being afraid to show how deeply it moved me, a brief moment of irritation emerged. And then: silence. Focus. Openness.
The key insight here was not musical. It was communicative.
People are not always reached through familiarity—but they are reached through emotional relevance.
This experience explains precisely why I understand photography today as a strategic communication tool for classical music, and why I photograph the way I do. It is not about further explaining content or reinforcing what is already known. It is about creating an initial emotional point of access—especially for those outside the existing audience.
Photography today can reach far more people than a classroom ever could. But the principle remains the same:
You have to start where people are—not where institutions would like them to be.
I deliberately avoid simplification, stereotypes, or image-smoothing. My photographs do not try to ingratiate themselves. Classical music is not “cool” in a youthful sense. It is not hip. But it possesses an emotional depth and physical impact that few other art forms can match. This is its strongest communicative asset.
In this context, strategic communication does not mean reframing content—it means changing points of access.
What applied in the classroom applies equally to the external communication of orchestras:
If we want people to listen, we must first earn their attention—and not through recognisability, but through relevance. If this step fails, any subsequent attempt at deeper engagement risks missing its target.
Photography can play a central role here. Not as decoration. Not as pure documentation. But as a low-threshold invitation to emotional engagement. It can help shift perceptions, break expectations, and spark curiosity—long before anyone opens a programme booklet or buys a ticket.
At a time when attention is scarce, it is not the quality of the offer alone that matters, but the quality of the access.
This is precisely where strategically conceived orchestral photography begins.