Das Unsichtbare sichtbar machen.
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Seien wir uns ehrlich: Es gehört nicht viel dazu, eine Kamera – selbst im manuellen Modus – zu bedienen. Mit ein wenig gutem Willen verlieren ISO, Blende und Belichtungszeit ihren Schrecken, und es braucht keinen Hochschulabschluss, um in Lightroom passable Ergebnisse zu erzielen, die den Applaus der Online-Community hervorrufen. Als hilfreich hat sich eine umfangreiche Preset-Sammlung erwiesen, die im Verhältnis zur erwarteten Aufmerksamkeit für einen geringen Obolus zu haben ist. Das gilt natürlich auch für die dokumentarische Fotografie. Und das gilt auch für mich.
Schlussendlich kann das Erzielen von schnellen und passablen Ergebnissen in einer Art Selbstbefriedigung enden, die vielleicht nicht unbedingt am Ziel vorbeigeht, dieses aber auch nicht trifft – zumindest dann, wenn es darum geht, die Essenz eines Themas herauszuarbeiten. Ob das tatsächlich der Fall ist, kann man vermutlich mit der Frage „Diene ich als Fotograf eher mir selbst oder eher dem größeren Ganzen?“ beantworten.
Die Frage, die mich hier logischerweise beschäftigt, ist:
Worauf baut eine gute Fotografie aus einer Orchesterprobe auf?
Ein Leitfaden? Weit gefehlt!
Dass es so etwas wie einen Leitfaden für Orchesterfotografie nicht geben kann, ist eigentlich schlüssig. Jedes Orchester ist ein lebendiges Geflecht aus individuellen Musikerinnen und Musikern, jede Probe ein einzigartiges Zusammenspiel von Klang, Bewegung und Moment. Ein starrer Leitfaden könnte nur Regeln vorgeben, doch er würde nie die feinen Nuancen, die kleinen Gesten, die besondere Atmosphäre einfangen, die jedes Orchester unverwechselbar machen.
Zudem gibt einfach zu viele Faktoren, die den Weg zu einer guten Fotografie begünstigen oder erschweren: Das Licht, die Beteiligten, die Atmosphäre, der Raum, das Zeitfenster, die Auswahl der Objektive, die Bereiche, zu denen man Zutritt hat.
Ich denke zwar, dass ich in den letzten beiden Jahren eine Bildsprache entwickelt habe, die dem entspricht, was ich zeigen will. Was mir aber immer gefehlt hat, war eine Aussage, ein Satz, der mich auch in schwierigen fotografischen Situationen daran erinnert, worauf es ankommt.
Per glücklichem Zufall bin ich über einen großartigen Essay des Theologen Wolfgang Vögele mit dem Titel „Belichtungen“ im Magazin “Tá katoprizómena” gestoßen, der sich der Fotografie von theologisch-philosophischer Seite nähert. Vögele zitiert in seinem Text John Berger, Booker-Preisträger und Fotografie-Enthusiast, mit den Worten:
„Eine Fotografie ist gelungen, wenn der gewählte Moment ihrer Aufnahme ein Maß an Wahrheit enthält, das allgemein anwendbar ist, und wenn die Fotografie genauso viel über das mitteilt, was auf ihr fehlt, wie über das, was sie abbildet.“
Das klingt etwas sperrig, zugegeben. Auch wenn es mehrere Deutungsmöglichkeiten gibt, würde der Satz für mich übersetzt heißen: „Ein gutes Foto zeigt nicht nur Sichtbares, sondern im selben Maße auch Unsichtbares, das wiederum die Fotografie spannend und einzigartig macht.“
Filme, Serien und Bücher leben vom Geheimnis
Bei genauerer Überlegung trifft Bergers Ansatz nicht nur auf Fotografien zu, sondern auch auf Filme, Serien und Bücher – also auf alles, das mit dem Erzählen von Geschichten zu tun hat. Nicht umsonst endet eine Serienfolge mit einem Cliffhanger, lässt ein Buchautor die Leser über mehrere Seiten im Unklaren oder setzt ein Regisseur die Kamera so ein, dass Spannung erzeugt wird. Warum also auf das, wovon Drehbuchautoren und Regisseure aus der ganzen Welt leben, in Fotografien verzichten?
Ohne Geheimnis keine Spannung, ohne Spannung kein Interesse.
Meine Erkenntnis ging aber noch weiter. Da ich beinahe täglich auf Social Media Fotografien von Orchesterproben zu sehen bekomme, die mich wenig inspirieren, habe ich diesen Satz auch auf diese Bilder angewandt. Und wie das oft so ist: Im Negativen funktioniert die Aussage besser, klarer, eindeutiger als im Positiven. Anders formuliert: Mir gefallen die allermeisten der Behind-the-Scenes-Fotografien nicht, weil sie kein Geheimnis beinhalten, keine Fragen offenlassen, kein Zauber von ihnen ausgeht. Vielmehr zeigen sie immer die gleichen Posen, Farben und Einstellungen, als ob es einen Verhaltenskodex für Fotograf:innen gäbe.
Wer denkt, es ginge bei der Orchesterfotografie nur darum, Menschen und Instrumente zu zeigen, hat zwar das Sichtbare erkannt (was bei der Menge an Motiven keine große Kunst ist) aber das Unsichtbare übersehen – und verfehlt damit genau das, was eine Fotografie erst sehens- und erinnernswert macht.
Das Herbstblatt-Syndrom: Stereotype Orchester
Ursprünglich wollte ich als Überschrift „Das Herbstblatt-Syndrom: Totfografierte Motive“ wählen, aber das stimmt nicht. Es geht nicht um das Motiv. Es geht um den Blick darauf. Es geht darum, nicht zuzulassen, dass aus Neugierde Routine wird.
Dass Berger mit dem Nicht-Sichtbaren einen neuen Kontext meint, der sich dem Betrachter zunächst nicht – oder überhaupt nicht – oder in ungewohnter Weise erschließt und der sich im Subtext der Fotografie befindet, bestätigt sich in seiner folgenden Erklärung:
„In der Fotografie des Herbstblattes fehlt zunächst einmal nichts, das Blatt steht für sich selbst, deswegen langweilt es ja so schnell. Der zu oft gezeigten Fotografie des Herbstblattes ist das Geheimnis abhandengekommen.“ (Berger, Der Augenblick der Fotografie, 39)
Diesem Problem des „zu oft Gezeigten“ kann ich viel abgewinnen. Auch wenn ein Herbstblatt – so wie eine Musikerin oder ein Musiker – per se visuell etwas zu bieten hat, so haben wir alle schon sehr, sehr oft Herbstblätter zu Gesicht bekommen, sowohl bei einem Spaziergang als auch in Fotografien – als stereotype Abbildungen mit stereotypen Eigenschaften ohne Persönlichkeit.
Was haben Orchester nun mit einem Herbstblatt zu tun?
Mit Orchestermusiker:innen verhält es sich wie mit dem Herbstblatt. Wir wissen, wie ein Orchestermusiker oder eine Orchestermusikerin aussieht. Wir wissen, wie ein Konzertsaal aussieht. Wir wissen, wie Instrumente aussehen. Und damit meine ich nicht nur Eingeweihte, sondern so gut wie alle Menschen, zumindest in unseren Breitengraden.
Also nichts leichter, als bei einer Orchesterprobe Close-ups mit Weitwinkelaufnahmen zu kombinieren, um ein möglichst breites visuelles Spektrum abzudecken, im Idealfall eine Geschichte zu erzählen?
Leicht ist das tatsächlich. Aber macht es Sinn? Wenn das Ziel darin besteht, zu zeigen, dass es das Orchester gibt, dass es probt, dass es Spaß bei der Probe hat, dass der Dirigent sein Letztes gibt – dann ja.
Wenn die Fotografie mehr leisten soll, als das ohnehin Offensichtliche abzubilden – wenn sie Rätsel andeuten, Neugier schüren, die Situation hinterfragen und eine Aura des Geheimnisvollen entstehen lassen will –, dann ist die stereotype Darstellung keine Antwort, sondern ein Irrweg.
Die Musik sehen, nicht nur hören
Wer ein Orchester fotografiert, darf sich nicht mit bloßer Oberfläche zufriedengeben. Es geht nicht nur darum, Hände auf Saiten, Reflexionen am Blech oder Schlagstöcke festzuhalten, sondern die Musik selbst zu verstehen – ihre Spannungen, ihre leisen Zwischentöne, ihre Momente des Atemholens. Das benötigt Zeit: Zeit, die Musik zu hören, Zeit, sich mit den Orchestermitgliedern zu unterhalten, Zeit, die Umgebung kennenzulernen. Nur dann kann man die Augenblicke erkennen, in denen das Unsichtbare sichtbar wird. John Berger schreibt, dass eine Fotografie ebenso viel über das vermittelt, was fehlt, wie über das, was zu sehen ist. Für die Orchesterfotografie bedeutet das: Nur wer die Musik in sich aufnimmt, kann die subtilen Momente einfangen, die ein Bild über das Offensichtliche hinaus interessant und erinnernswert machen.
Der Versuch einer Conclusio
Bergers Satz ist so umfassend, dass er mehrere Möglichkeiten der Interpretation zulässt. Was nun dieses Nicht-Sichtbare ist, kann man konkret schwer festmachen. Klar ist aber, dass das Geheimnisvolle in Schwarzweiß wesentlich besser zur Geltung kommt und auch leichter zur Geltung gebracht werden kann. Nicht umsonst bedienen sich unzählige Meister des Fachs dieses Mediums. Und ohne Zweifel ist es das, was über die bloße Darstellung eines Motivs hinausgeht und im Idealfall eine Geschichte aus einer Orchesterprobe erzählt, wie das Cover eines Buchs. Es ist das, was den Betrachter länger als die übliche Sekunde an die Fotografie bindet und das, was die Fotografie in Erinnerung bleiben lässt.
Am Ende läuft es bei jeder Orchesterprobe auf eine zentrale Frage hinaus: Ob ich es schaffe, das Unsichtbare sichtbar zu machen und dabei dem Offensichtlichen und Vertrauten neue Aufmerksamkeit und Bedeutung zu verleihen.
Seeing the Invisible: Notes on Photographing Orchestras
Let’s be honest: it doesn’t take much to operate a camera—even in manual mode. With a little persistence, ISO, aperture, and shutter speed quickly lose their intimidation. And it certainly doesn’t take a degree in fine arts to push sliders in Lightroom and produce images that win easy applause online. A well-stocked preset library can be had for little money compared to the attention it often buys. The same applies to documentary photography. And yes—it applies to me as well.
The danger, of course, is that quick and decent results can turn into a form of self-gratification. Such work may not completely miss the mark, but neither does it strike at the heart of the matter—at least not when the goal is to reveal the essence of a subject. Whether one succeeds can perhaps be answered with a simple question: Am I, as a photographer, serving myself—or serving something larger?
This brings me to the question that preoccupies me most:
What makes good photography of an orchestra rehearsal?
The Myth of a Handbook
A handbook? Hardly.
The very idea of a guide to orchestra photography is absurd. Every orchestra is a living organism made of individual musicians; every rehearsal is a unique interplay of sound, movement, and fleeting moments. A rigid set of rules might teach exposure or angles, but it will never capture the nuances, the subtle gestures, the atmosphere that make each ensemble distinct.
And then there are the countless variables that shape the outcome: the light, the people involved, the mood in the room, the architecture, the time allowed, the choice of lenses, even the access you’re granted.
Over the past two years I’ve developed a visual language that reflects what I want to express. But one thing has always been missing: a guiding sentence, something to remind me—especially when I’m struggling—what really matters.
By chance, I found it in an essay by the theologian Wolfgang Vögele titled Exposures, published in Tá katoprizómena. Writing about photography from a theological and philosophical perspective, Vögele cites the Booker Prize–winning author and photography enthusiast John Berger:
“A photograph is successful when the chosen moment of its capture contains a measure of truth that is universally applicable, and when the photograph communicates as much about what is absent from it as about what it depicts.”
Cumbersome, perhaps—but rich. For me, Berger’s words translate into this: A good photograph shows not only what is visible, but equally what is unseen—the very element that makes the image compelling and unique.
Why Mystery Matters
On reflection, Berger’s insight applies not only to photography but to all forms of storytelling—films, novels, television. Why else do series end with cliffhangers, authors stretch suspense over chapters, or directors frame shots to provoke tension? Mystery sustains interest. Without it, there is no intrigue; without intrigue, no reason to care.
This thought gained further weight when I considered the flood of rehearsal photos I encounter daily on social media—most of which, frankly, leave me cold. I began applying Berger’s sentence to these images, and the negative example made the truth clearer than the positive ever could. Put simply: many behind-the-scenes photos fail because they contain no mystery, pose no questions, and carry no magic. Instead, they repeat the same poses, the same colors, the same angles—as if following an unspoken code.
To believe that orchestra photography is only about showing musicians and instruments is to confuse visibility with meaning. The visible is the easy part. The invisible is what makes a photograph worth seeing—and worth remembering.
The Autumn Leaf Syndrome
I once considered calling this reflection The Autumn Leaf Syndrome: Over-Photographed Subjects. But that’s misleading. The problem isn’t the subject—it’s the gaze. It’s the moment when curiosity hardens into routine.
Berger himself illustrates this in his essay The Moment of Photography:
“In the photograph of the autumn leaf nothing is lacking at first glance; the leaf stands for itself, which is why it so quickly bores us. The too-often photographed autumn leaf has lost its mystery.”
The point resonates deeply with me. A single leaf can be beautiful, just as a musician can be visually striking. But we’ve all seen leaves—countless leaves—both on the ground and in photographs. At some point, the image of a leaf ceases to surprise us. It becomes a stereotype of itself.
What musicians share with autumn leaves
The same is true for orchestras. We know what musicians look like. We know what concert halls look like. We know the familiar shine of brass, the grain of wood, the gesture of a conductor. This is not knowledge reserved for insiders; it belongs to nearly everyone in our cultural sphere.
So yes, it’s easy to shoot a handful of wide-angle frames, sprinkle in a few close-ups, and present the result as a narrative. Easy—but does it matter? If the goal is merely to show that an orchestra exists, that it rehearses, that people enjoy the rehearsal, that the conductor throws himself into the work—then perhaps it does.
But if photography aims to do more—if it wants to suggest enigmas, awaken curiosity, unsettle our assumptions, and wrap the scene in a sense of mystery—then the formulaic approach is not a solution but a dead end.
Seeing the Music
Photographing an orchestra means refusing to stop at surfaces. It’s not enough to capture bows on strings or sticks on drums. One must try to understand the music itself—its tensions, its pauses, its delicate in-between moments. And that takes time: time to listen, time to speak with musicians, time to learn the rhythms of the room. Only then can one recognize the instants when the invisible emerges.
As Berger reminds us, a photograph conveys as much about what is absent as what is present. For orchestra photography, that means: only by absorbing the music can one capture the subtle, ephemeral gestures that transform an image into something memorable.
Toward a Conclusion
What exactly counts as “the invisible” is hard to pin down. Berger’s formulation is deliberately open, which is its strength. But one thing seems clear: mystery is often more palpable in black and white. Perhaps that is why so many masters of the craft rely on it—not just for its aesthetic purity, but because it strips away distraction and amplifies what lingers beneath the surface.
In the end, that is what lifts an image beyond mere depiction. It is what turns a rehearsal into a story, like the cover of a book. It is what holds the viewer’s gaze longer than a passing second, what keeps a photograph alive in memory.
And so every orchestra rehearsal, for me, comes down to a single question:
Can I make the invisible visible—while granting the obvious and familiar new attention and meaning?
Warum “Orchestrapunk?”
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„Ihre Fotos gefallen mir ganz gut – aber muss es denn Punk sein? Das passt nicht zum Orchester“
Diesen Satz habe ich des Öfteren gehört oder gelesen. Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Ja, es muss, und das aus einem einfachen Grund.
Sollten wir uns, liebe Leserin, lieber Leser bei einem Shooting einmal kennen lernen, dann trage ich vermutlich mein liebstes T-shirt, von dem ich mehrere Exemplare besitze. Darauf steht in großen Lettern: „What´s more Punk than the public library?”
Besser kann man Punk aus meiner Sicht nicht definieren. Es sind nicht die Haare oder die Schuhe. Es ist der dringende Wunsch, es anders, hoffentlich besser zu machen. Und es der Wunsch, möglichst viele daran teilhaben zu lassen.
Punk bedeutet für mich als Fotografen meinem Gefühl zu folgen, innovativ zu sein und dabei das Risiko einzugehen, nicht die gewünschte Resonanz zu erhalten; Punk bedeutet, sich bewusst für einen neuen Weg zu entscheiden – nicht um per se anzuecken, sondern um das was bereits existiert um eine neue Dimension zu erweitern. In meinem Fall ist das die Proben – Fotografie in einer neuen Bildsprache, die der Intensität der Musik hoffentlich gerecht wird.
Aber es bedeutet auch ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Szenen für Menschen außerhalb der Bubble interessant sein könnten und an welche Bildsprache Menschen andocken könnten, die bisher keinen Kontakt zu klassischer Musik hatten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will niemanden bekehren. Aber Sie kennen doch das Gefühl, anderen unbedingt erzählen zu müssen, was Sie zutiefst berührt?
Kurz gesagt: Neben dem Wunsch, Probenarbeiten von Orchestern so intensiv wie möglich zu zeigen um anderen Einblick in diese faszinierende Welt zu geben liegt dem Projekt durchaus ein demokratischer Gedanke zugrunde.
Genug gesprochen. Ich hoffe, dass Sie Freude beim Betrachten meiner Fotografien haben. Schreiben Sie mir ruhig, was Sie davon halten: mail@skw-photo.com. Ich freue mich!
“Why Orchesrapunk?”
“I quite like your photos – but does it really have to be punk? That doesn’t fit an orchestra.”
I’ve heard or read this sentence more than once. To answer right away: Yes, it does, and for a simple reason.
If we ever meet for a shoot, dear reader, I will probably be wearing my favorite T-shirt, of which I own several copies. In big letters it says: “What’s more punk than the public library?”
In my view, this is the best way to define punk. It’s not the hair or the shoes. It’s the urgent desire to do things differently, hopefully better. And the wish to let as many people as possible share in that.
For me as a photographer, punk means following my instincts, being innovative, and taking the risk of not getting the expected response. Punk means consciously choosing a new path – not just to provoke, but to expand what already exists into a new dimension. In my case, that’s rehearsal photography – creating a visual language that hopefully does justice to the intensity of the music.
But it also means developing a sense of which scenes might be interesting to people outside the bubble, and which visual language might appeal to those who haven’t yet encountered classical music. Don’t get me wrong: I’m not trying to convert anyone. But you know that feeling of wanting to share with others what moves you deeply?
In short: alongside the desire to show orchestral rehearsals as vividly as possible and offer others a glimpse into this fascinating world, the project is grounded in a democratic idea.
Enough talking. I hope you enjoy viewing my photographs. Feel free to write me your thoughts: mail@skw-photo.com I look forward to them!
Zwei Jahre Orchestrapunk – Licht, Klang, Rebellion.
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Es begann wie in einem guten Punk-Song: Mit einem lauten Knall – in meinem Fall ein Gehörsturz, der alles veränderte. Ganz offensichtlich hatte ich es übertrieben. Meinen E-Bass verkaufte ich samt Kabel und Verstärker und musste nun einen neuen Weg finden, um mich künstlerisch auszudrücken. Also tat ich das was viele Rockmusiker bereits vor mir taten: Ich kaufte ich mir eine Kamera und fotografierte mehr oder weniger das, was alle anderen auch fotografierten.
Als Kind zweier Welten – der Rebellion des Punks und der Komplexität der Klassik – hatte ich eine Idee in mir, die mich glücklich machte: Was, wenn ich die Welt der Orchester mit der Ästhetik des Punks aufmischen würde? Keine steifen Posen, keine glattgebügelten PR-Bilder, und ausschließlich bei Proben. Stattdessen: Schweiß, Emotion, Spannung. Das Ziel: Klassische Musik neu zu zeigen und meine Begeisterung für Mahler, Bach, Schostakovitsch und Bruckner mit Menschen zu teilen, die glauben dass die Musik für sie zu schwierig, zu elitär ist.
Aber wie das oft so ist: Man hat eine Idee im Kopf die man für genial hält und findet seltsamerweise kaum jemanden, der diese Begeisterung teilt.
„Stellen Sie sich ein Orchester vor – aber eben nicht im Abendkleid und Anzug, sondern in einem Bildgewitter, roh, ehrlich, wild.“
Die Antworten klangen stets höflich – und endeten doch alle gleich:
„Vielen Dank für Ihr Interesse. Wir verfügen über unsere eigenen Fotografen, halten Sie aber gerne in Evidenz.“ Tatsächlich endete eines der Emails mit den Worten „Bitte sehen Sie von einer weiteren Kontaktaufnahme ab“. Tja.
Ich hatte natürlich nichts vorzuweisen, außer einer Vision. Und dann, irgendwann nach unzähligen Mails, Anrufen und höflichen Absagen, kam das Mail aus Grafenegg. Das Jugendorchester der EU, das European Union Youth Orchestra mit Stardirigent Antonio Pappano war bereit für das Experiment klassische Musik in der Bildsprache des Punk zu zeigen.
Zwei Tage. Freie Hand. Meine Kamera und ich.
Grafenegg, für die die es nicht kennen, ist ein sensationell schöner Ort. Das Schloss und der Park erinnern mich an Hogwarts, die Open Air Bühne ist ein Platz, wo sich jedermann wohl fühlen kann. Dass man mich einfach machen ließ gab mir die Möglichkeit, diejenigen Motive zu suchen, von denen ich überzeugt war, dass sie andere überraschen. Und es funktionierte.
Was in den zwei Jahren darauf geschah, war wundervoll: Interviews mit Kulturjournalisten, eine Einladung bei meinem Lieblingsradiosender Ö1, ein dritter Platz bei einem internationalen Fotowettbewerb, Veröffentlichungen in Magazinen, ein Speaker-Slot bei einem Klassik-Symposium, und vor allem: Eine neue Heimat in einer Welt, die ich bisher nur aus der Ferne bewunderte. Ich traf Menschen, die wie ich Klassik neu denken wollten. An allererster Stelle: Simon Rattle, der mich sehr unterstützte.
Es geht um Begeisterung!
Meine Begeisterung kommt mit Sicherheit auch aus der Rebellion, was für mich nur bedeutet es anders im Sinne vom besser zu machen. Und ich liebe es auch, meinen Finger ein bisschen dorthinein zu bohren, wo es weh tut.
Ich habe mich als Pädagoge und Musiker immer als Vermittler verstanden – als jemand, der Musik begreifbar macht. Ich schleppte Schulklassen in Sinfoniekonzerte, organisierte Kinderworkshops für improvisierte Musik und machte vor der Klasse den ungezügelten Zampano, wenn es darum ging, den Funken für klassische Musik überspringen zu lassen.
Natürlich beschäftigt es mich, dass so viele Menschen mit klassischer Musik nichts anfangen können. Man kann das vergleichen mit dem für mich absurden Gedanken, dass 70% der Menschen keine Pizza mögen. Im Grunde ist es mir egal, wie hoch der Altersschnitt im Konzert ist. Aber es ist mir nicht egal, dass das Marketing für klassische Musik eine ganze Menge Menschen gedanklich ausschließt, ganz einfach, indem es diese nicht anspricht. Mir liegt das am Herzen, weil diese Musik etwas mit dir macht. Weil sie dir Emotionen zeigt, von denen du vorher nicht wusstest dass sie existieren. Weil sie dich immer wieder aufs Neue wie ein kleines Kind staunen lässt, egal wie alt du bist. Und weil das jedem zugänglich sein muss. „Aber die Musik ist doch für alle da!“ höre ich. Das ist blanker Unsinn. Die gedanklichen und emotionalen Hürden, ein Sinfoniekonzert oder eine Oper zu besuchen sind für viele Menschen immer noch viel zu hoch und die übliche Konzert - Fotografie hat ihren Teil dazu beigetragen. Ergo: Wenn man möchte, dass andere daran teilhaben, muss gegen das rebellieren, was nicht funktioniert.
Üben, üben üben.
Ich wollte eine neue Bildsprache für Orchester entwickeln – und das hat mich vor enorme emotionale Herausforderungen gestellt. Wir sind ja permanent von Fotografien umgeben, die uns als Beispiel dienen „wie etwas aussehen soll“ oder wie etwas „richtig“ ist. Gerade wir Fotografen sind da sehr anfällig für Input von außen. Und ganz besonders in der klassischen Musik herrscht ein klares Bild, wie diese Musik visuell transportiert wird. Wie schaffe ich es also, die Bildsprache dem eigenen Empfinden anzupassen und trotzdem den Respekt vor der Musik und den Musiker:innen zu wahren? Wie immer gibt es da 3 Möglichkeiten, die auch jeder Musiker kennt: Erstens: Üben. Zweitens: Üben. Drittens: Üben. Also habe ich jede Möglichkeit, Orchester zu fotografieren wahrgenommen, kostenlos, selbst finanziert, von Salzburg bis Berlin, München, Hamburg, Wien und New York.
Ein kleines bisschen Monk.
Im Laufe der Zeit habe ich nicht nur versucht, eine Bildsprache zu entwickeln sondern relativ schnell gemerkt, dass mir Rituale helfen, die Fotos zu machen, die ich mir wünsche. Und da ich mit der Kamera ja alleine unterwegs bin kann ich meine Rituale frei gestalten. Im Grunde gibt es nur zwei, auf denen meine Psyche besteht:
Nach der Anreise (und nachdem ich mich mit den Öffis in einer fremden Stadt verfahren habe) setze ich mich irgendwo in eine stille Ecke und setze meine Kopfhörer auf. Und dann sorgen für die nächsten 20 Minuten Kraftwerk, dEUS, Miles Davis oder Motörhead dafür, dass ich mich nicht dazu verleiten lasse, in die übliche Klassik- Bildsprache zu verfallen.
Das zweite Ritual ist, mich meiner Doc Martens zu entledigen, wenn ich den Konzertsaal betrete. Der positive Nebeneffekt ist, dass ich mich tatsächlich unhörbar wie auf Samtpfoten bewegen kann. Der hauptsächliche Grund aber ist, dass ich den Saal damit zu meinem Zuhause mache, in dem ich mich pudelwohl fühle. Lange bevor ich die Kamera auspacke und bevor die Musiker:innen kommen, spaziere ich in warmen Socken durch den Saal wie durch ein gigantisches Wohnzimmer, rieche das Holz, streiche über die Sitze, suche das Licht, staune und entdecke die Besonderheiten.
Jede Begegnung war spannend, und ich habe vor jedem Shooting Herzklopfen. Aber natürlich gab es in den zwei Jahren einige besonders herausragende Momente:
Simon Rattle, der mir mit offenen Armen entgegen kommt und sagt:
„Your images are fantastic! We need more of that!“, der nette Portier, der mich durch die komplette Elbphilharmonie führt, weil ich mich heillos verlaufen hatte und weder meine Kamera noch die Bühne finden konnte.
Der Rauswurf durch den Opernregisseur, weil man ihm nicht gesagt hatte dass ich komme, die wundervolle Szene, in der ich bei den Proben zu „Der Barbier von Sevilla“ kurzerhand eingeteilt wurde, Bühnenelemente von A nach B zu tragen weil man dachte ich sei ein neuer Bühnenarbeiter, Netrebko, die mir Herzchen auf Instagram schickt.
Das Kennenlernen meiner persönlichen Helden wie dem Radio String Quartet. Oder die Einlasskontrolle für Fotografen in der Carnegie Hall, die mehr dem Sicherheitscheck im Weißen Haus als einem Konzertbesuch glich. Danach folgte mir ein Mitarbeiter mit Funkgerät auf Schritt und Tritt – nicht als Begleitung, sondern als Argusaugen- Aufpasser.
Einige Bilder treffen einen Nerv, andere verpuffen. Manche Fotografien muss ich auf Wunsch der abgebildeten Personen löschen, andere stoßen auf Begeisterung. Manche Fotografien funktionieren auf Anhieb, andere benötigen Zeit. Es ist wie in einem Punksong. Nicht jeder Akkord kommt tight. Aber wenn er trifft, dann trifft er dich ins Gesicht. Das zumindest ist mein Ziel.
Two Years of Orchestrapunk – Light, Sound, Rebellion.
It all started like a good punk song: with a loud bang. In my case, it was sudden hearing loss—and it changed everything. Clearly, I’d pushed it too far. I sold my bass, along with all the gear, and had to figure out a new way to express myself. So I did what a lot of rock musicians do when they hit a wall: I bought a camera and started taking pictures—mostly of the same stuff everyone else was photographing.
Growing up between two worlds—the rebellion of punk and the complexity of classical music—I had an idea that made me feel genuinely excited: What if I brought punk’s raw visual energy into the world of orchestras? No stiff poses. No perfectly polished PR shots. Just rehearsals. Real moments. Sweat, emotion, tension.
The goal? To show classical music in a fresh light—and to share my love for Mahler, Bach, Shostakovich, and Bruckner with people who think this music is too complicated or elitist for them.
Of course, it wasn’t easy. I had this idea in my head that I thought was amazing… and then realized that almost no one else seemed to get it.
“Imagine an orchestra—but not in tuxes and gowns. Imagine it wild, raw, honest. Like a visual punk gig.”
The responses were always polite. But almost always ended the same way:
“Thanks for your interest. We work with our own photographers, but we’ll keep you in mind.”
One email even said, “Please refrain from contacting us again.”
Ouch.
To be fair, I didn’t have much to show—just a vision.
Then one day, after a long list of emails, phone calls, and friendly rejections, I got a message from Grafenegg. The European Union Youth Orchestra, led by the amazing Antonio Pappano, was open to trying something new. They said yes to the idea of showing classical music through a punk lens.
Two days. Full freedom. Just me and my camera.
If you’ve never been to Grafenegg—it’s stunning. The castle and park feel like Hogwarts, and the outdoor stage is a space where everyone feels welcome. Being given complete creative freedom let me chase the kind of images I knew would surprise people. And it worked.
The two years that followed were pretty incredible: interviews with arts journalists, a spot on my favorite radio station (Ö1), third place in an international photo contest, publications in magazines, a speaker slot at a classical music symposium—and most importantly: a sense of belonging in a world I’d only admired from the outside.
I met people who also wanted to rethink classical music. At the top of that list: Simon Rattle, who gave me amazing support.
It’s all about passion.
And yeah, a bit of rebellion too. For me, rebellion means doing things differently—with purpose. I like poking at the sore spots, asking: could we do this better?
As a teacher and musician, I’ve always seen myself as a translator—someone who helps people get music. I’ve dragged school classes into symphony halls, run music workshops for kids, and played the over-the-top showman in classrooms just to get that classical spark to ignite.
It really gets to me that so many people feel like classical music just isn’t for them. To me, that’s like saying 70% of people don’t like pizza. I’m not too worried about how old the average concert audience is—but I am bothered that the way classical music is marketed leaves out a whole bunch of people. It just doesn’t speak to them.
And that’s a problem. Because this music does something to you. It unlocks emotions you didn’t even know you had. It makes you feel wonder—again and again—no matter how old you are. And that should be for everyone.
I hear it all the time: “But classical music is for everyone!”
Yeah, no. Not really. The emotional and mental hurdles to stepping into a concert hall or opera house are still way too high for many people. And the usual concert photography hasn’t helped. So if we want people to connect with this music, we have to challenge the things that don’t work.
Practice, practice, practice.
I wanted to create a new visual language for orchestras—and that came with a lot of emotional ups and downs. We’re constantly surrounded by images that tell us what things should look like. Especially as photographers, it’s easy to fall into those patterns. And in classical music, the “look” is very clearly defined.
So how do I make pictures that feel true to me, while still respecting the musicians and the music? Same way musicians do it:
Practice.
Practice.
Practice.
So I said yes to every opportunity. I shot orchestras for free, paid my own travel—from Salzburg to Berlin, from Munich to Vienna, Hamburg, and even New York.
A little bit Monk.
Along the way, I realized that having a few personal rituals helps me shoot the kind of photos I want. Since I usually travel alone, I get to make my own rules. And there are two rituals I stick to without fail:
First: after arriving (and inevitably getting lost on public transit), I find a quiet spot, put on my headphones, and let Kraftwerk, dEUS, Miles Davis or Motörhead remind me not to fall into the old classical-photo habits.
Second: I take off my Doc Martens before I step into the concert hall. Bonus: I move silently. But more importantly, it makes the hall feel like home. Long before I unpack my camera or the musicians arrive, I walk around in warm socks like it’s my living room. I smell the wood, touch the seats, look for the light, and just let myself be amazed.
Every shoot is exciting—and I still get nervous beforehand. But some moments stand out:
Simon Rattle coming up to me, arms wide open:
“Your images are fantastic! We need more of that!”
The kind porter at the Elbphilharmonie who gave me a full tour because I was completely lost and couldn’t find either my camera or the stage.
Getting kicked out by an opera director who didn’t know I was coming.
Or the time during The Barber of Seville rehearsal when someone thought I was a new stagehand and had me carry set pieces.
Netrebko sending me heart emojis on Instagram.
Meeting some of my heroes—like the Radio String Quartet.
And getting searched like I was entering the White House just to photograph at Carnegie Hall—then being followed by a staffer with a walkie-talkie the entire time.
Some images hit a nerve. Others don’t. Some I’ve had to delete at the request of the people in them. Some people are thrilled. Some photos work right away, others take time. It’s like a punk song—not every chord lands perfectly. But when it does, it hits you in the face.
That’s the goal.
Whats inside?
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Aus meiner Sicht ist die behind the scenes – Fotografie das wichtigste Marketingtool für Orchester. Vielleicht nicht für Abo-Besitzer, sehr wohl aber für Menschen, die sich in der Zwischenwelt „Soll ich?“ oder „Soll ich nicht?“ befinden. Die Gründe, die sich einem Konzertbesuch in den Weg stellen sind ja zur Genüge erforscht. Auch wenn man die ordentlich recherchierten Daten nachlesen kann habe ich mich im Freundes – und Bekanntenkreis selbst auf die Suche nach Hinderungsgründen gemacht. Ich habe die Frage dabei bewusst offen gelassen, also nicht differenziert gefragt warum man nicht in die Oper, ins Symphonie – oder Kammerkonzert geht sondern einfach die Frage „Warum gehst du nie ins klassische Konzert?“ gestellt.
Hier folgt mein persönliches Best Of:
„4 Stunden sind mir zu lang“
„Ich hab keinen Anzug“
„Was soll ich unter alten Leuten?“
„Das ist Musik für Spießer“
„Von dem Gekreische bekomme ich Kopfweh“
„Das ist mir zu abgehoben“
„Wagner war doch ein Nazi, oder?“
Wohlgemerkt – das sind Zitate aus meinem persönlichen Umfeld, von Menschen, die über eine abgeschlossene Ausbildung oder einen Hochschulabschluss verfügen. Das sind keine Dummköpfe. Dass der Klassikbetrieb dieses Image selbst zu verantworten hat ist klar. Dass er viel zu wenig dagegen tut um das zu ändern, auch.
Aber zurück zur behind the scenes – Fotografie. Diese Fotografie ist der Türgriff, die persönlich gestaltete Einladungskarte. Sie zeigt was drinnen ist. Jedes Restaurant, an dem Sie vorbei marschieren und daraufhin Lust bekommen es kennen zu lernen hat in Ihnen die Frage „Whats inside?“ ausgelöst. Auf englisch klingt das einfach besser. Jedes Buch, dass Sie in einer Buchhandlung durchblättern hat den wichtigsten Schritt bereits geschafft: Sie sind neugierig geworden. Das Restaurant hat Ihnen das Versprechen gegeben, dort einen feinen Abend genießen zu können, das Buch verspricht Ihnen ein paar Stunden abseits des Alltags.
Klassik-Neulinge bekommen in der traditionellen Orchester-Fotografie das Versprechen, dass sie sich im Konzert langweilen werden. Aus dem einfachen Grund, weil die Fotografien langweilig sind. Nicht langweilig im Sinne von schlecht gemacht, einige sind technisch sogar hervorragend. Langweilig im Sinne von „Interessiert mich nicht“. Taucht eine solche Fotografie in der Timeline auf, funktioniert sie wie ein Scrollbeschleuniger für den Daumen.
Sie glauben mir nicht? Dann versuchen Sie einmal gedanklich, die Unterschiede in den Fotografien von verschiedenen großen oder weniger bekannten Orchestern auszumachen. Sie werden schnell bemerken, dass die Bilder austauschbar sind. Immer die gleichen Posen, immer die gleichen von oben – Bilder. Wäre das nicht schon schlimm genug, so verstärken die Bilder zumindest einige der oben genannten Einstellungen über klassische Musik. Man auch niemandem einen Vorwurf daraus machen, wenn er oder sie von spießigen Bildern auf spießige Musik schließt, oder?
Und genau da setzt gute behind-the-Scenes-Fotografie an. Sie dokumentiert nicht nur – sie erzählt. Sie wirft einen Blick hinter die Kulisse, der Nähe schafft statt Abstand, Emotion statt Etikette. Das Menschliche. Und genau dieses Menschliche ist es, was potenzielle Besucherinnen anspricht, die sich noch in der klassischen „Unentschieden-Zone“ befinden:
Simon Rattle im restlosen Glück, Igor Levit, wie er alle Hüllen fallen lässt und völlig in der Musik versinkt, Anna Netrebko, die sich mit ihrem Handy hinter einem Vorhang versteckt, Maxime Pascal, der sich beim Dirigieren die Seele aus dem Leib schwitzt, der nicht gerade ansprechende Backstageraum eines der bekanntesten Aufführungshäuser der Welt, die Schlagwerkerin des European Union Youth Orchestras im Tanktop, Raphaela Gromes, die sich nach einem Witz kaum halten kann - das hat Kraft. All das hat Charme. Und – Überraschung! – das kann Leute abholen. Zumindest sagen das die Menschen, denen ich zuvor die Frage gestellt hatte, warum sie nicht ins Konzert gehen.
Wer reingezoomt wird, fühlt sich eingeladen.
Behind-the-scenes-Fotografie ist kein Beiwerk, sie ist die Botschaft. Sie sagt: "Schau, so sind wir. Ganz normale Menschen, die sich die größte Mühe geben etwas Schönes erschaffen. Und du darfst dabei sein."
Und ja, diese Art von Fotografie verändert etwas. Nicht sofort, nicht dramatisch – aber kontinuierlich. Sie schleicht sich ins Bewusstsein. Baut Brücken. Hebt Schwellen ab. Und vielleicht, ganz vielleicht, klickt da jemand auf den nächsten Konzertlink, der noch nie einen Fuß in einen Konzertsaal gesetzt hat. Einfach weil er sich fragt: „What´s inside?“
What’s inside?
From my perspective, behind-the-scenes photography is the single most important marketing tool for orchestras.
Maybe not for people who already have season tickets,
but definitely for those in the in-between space – the “Should I?” or “Should I not?” crowd.
The reasons people don’t go to classical concerts have been well researched.
But instead of quoting the data, I went on my own mini mission – asking friends and acquaintances a very simple, open question:
“Why don’t you go to classical concerts?”
(Not “Why not the opera?” or “Why not chamber music?” – just the whole thing.)
Here’s my personal best-of:
“Four hours is too long.”
“I don’t own a suit.”
“What would I do surrounded by old people?”
“That’s music for snobs.”
“The screeching gives me a headache.”
“It’s too highbrow for me.”
“Wasn’t Wagner a Nazi?”
Important to mention: These quotes are from people with proper educations, degrees, careers. Not idiots. And yes – the classical world is partly to blame for this image. And no – it hasn’t done nearly enough to change it.
So let’s go back to behind-the-scenes photography.
This kind of photography is the door handle – the personalized invitation.
It shows what’s inside.
Every restaurant you’ve ever walked past and suddenly wanted to try – it sparked one key question in you:
What’s inside?
Every book you’ve ever picked up and leafed through – same thing. It already won. You were curious.
Now let’s talk about traditional orchestra photography.
To someone new to classical music, it promises one thing:
You’re going to be bored.
Why? Because the photos themselves are boring.
Not bad, technically. Some are superb.
But they’re boring in the sense of “This doesn’t interest me.”
If one of these pictures pops up on a timeline, it functions as a scroll accelerator.
You don’t slow down. You don’t click. You move on.
Don’t believe me?
Try mentally comparing the photos from different major or lesser-known orchestras. You’ll notice something quickly: they’re interchangeable. Same poses. Same top-down angles.
And as if that weren’t bad enough, many of those photos actually reinforce the very stereotypes people already have: Stiff. Boring. Elitist. So can you really blame someone for assuming the music is just as uptight as the images?
That’s where good behind-the-scenes photography steps in.
It doesn’t just document – it tells a story.
It pulls back the curtain and creates connection instead of distance.
Emotion instead of etiquette.
It shows the human side.
And that is what speaks to potential concertgoers who are still on the fence.
Simon Rattle in sheer bliss. Igor Levit fully surrendering to the music. Anna Netrebko hiding behind a curtain with her phone. Maxime Pascal sweating his soul out while conducting. The not-so-glamorous backstage room of one of the world’s most famous concert halls. The percussionist from the EUYO in a tank top.Raphaela Gromes laughing so hard she can’t breathe.
That has power. That has charm.
And – surprise! – that kind of stuff can reach people. At least, that’s what the people told me – the very same ones I asked about why they don’t go to concerts.
If you’re drawn into a photo – zoomed in – you feel invited. Behind-the-scenes photography isn’t just a side dish. It is the message.
It says: “Look, this is who we are. Real people trying our best to create something beautiful. And you’re invited.”
And yes – this kind of photography makes a difference.
Not overnight. Not dramatically.
But steadily.
It sneaks into people’s awareness.
Builds bridges. Lowers thresholds.
And maybe, just maybe, someone who’s never set foot in a concert hall will click on that next concert link –
simply because they’re asking themselves:
What’s inside?
Das „Eine kleine Nachtmusik“-Syndrom
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„Mozart war ein Wunderkind.“
„Beethoven komponierte taub.“
„Bruckner musste zwei Stunden zu Fuß zu seinen Orgelstunden laufen.“
Teenager finden solche Geschichten beeindruckend. Ich weiß das, weil ich viele Jahre Musik an einer Brennpunktschule unterrichtet habe.
Das Interesse der Kids bleibt – bis ich mich zurücklehne und ihnen etwas Klassisches vorspiele, zum Beispiel Mozarts Eine kleine Nachtmusik. Ein Stück, das bis zur Erschöpfung gespielt wurde. Aber, so mein Gedanke, immerhin erkennen sie es aus der Werbung wieder. Doch sobald das erste Taa – tataa – tatatatataa erklingt, beginnt die erste Reihe mit der letzten zu quatschen, eine mysteriöse Welle akuter Blasenschwäche erfasst das Klassenzimmer, und unter den Tischen werden Zigaretten gedreht.
Wenn ich stattdessen Samuel Barbers Adagio auflege, dazu dirigiere und mich voll in den Schmerz hineinfallen lasse – ohne Angst, mich vor der Klasse zum Affen zu machen – dann starren mich eine Gruppe Möchtegern-Gangster und Möchtegern - Soap-Darstellerinnen an, als wären Sie gerade Zeuge geworden, wie ihr Lehrer den Verstand verliert. Aber nur für einen Moment. Als Zugabe gibt’s Mahlers Adagietto aus der Fünften – vor einem jetzt mucksmäuschenstillen Klassenzimmer.
Das ist nun einige Jahre her.
Dass ich heute Fotografie nutze, um die Wahrnehmung von klassischer Musik vom Eine kleine Nachtmusik-Syndrom zu befreien, fühlt sich vollkommen logisch an. Mit den richtigen Partnern kann ich viel mehr Menschen erreichen. Und eigentlich mache ich nichts grundlegend anderes:
Ich präsentiere etwas Neues.
Ich versuche, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen – durch meine eigene Authentizität und visuelles Erzählen.
Ich setze auf Emotionen.
Ich versuche nicht, klassische Musik als etwas zu verkaufen, das sie nicht ist. Sie ist nicht cool im jugendlichen Sinne. Sie ist nicht hip. Aber sie bewegt wie keine andere Musik – manchmal so sehr, dass es mich in meine Einzelteile zerlegt.
Was für den Unterricht galt gilt auch für die Fotografie. Möchte ich, dass man mir zuhört, muss ich alles daran setzen dass man das auch tut. Wenn ich das nicht mache habe ich auch kein Recht zu hoffen, dass der Funke überspringt.
The “Eine kleine Nachtmusik Syndrome”.
“Mozart was a child prodigy.”
“Beethoven composed while deaf.”
“Bruckner had to walk two hours on foot to get to his organ lessons.”
Teenagers find stories like that impressive.
I know this because I spent years teaching music at a tough inner-city school.
Their interest usually lasts… right up until the moment I sit back and play them something classical – like Mozart’s Eine kleine Nachtmusik.
A piece played to the point of exhaustion. But I figured: At least they’ll recognize it from commercials.
But the second that first taa – tataa – tatatatataa hits, the front row starts chatting with the back, a mysterious wave of sudden bladder emergencies sweeps through the classroom, and cigarettes start getting rolled under the desks.
Now, when I put on Samuel Barber’s Adagio, start conducting it, and let myself fall completely into the pain – with zero fear of making a fool of myself in front of the class – suddenly a group of wannabe gangsters and soap-opera divas stare at me like they’ve just witnessed their teacher losing his mind.
But only for a moment. Then comes the encore: Mahler’s Adagietto from his Fifth – and the classroom is dead silent.
That was a few years ago.
That I now use photography to free classical music from the Eine kleine Nachtmusik syndrome”
feels like the most natural thing in the world.
With the right partners, I can reach so many more people.
And really, I’m not doing anything fundamentally different:
I’m presenting something in a new way.
I’m meeting people where they are – through authenticity and visual storytelling.
I lead with emotion.
I’m not trying to sell classical music as something it’s not.
It’s not “cool” in a teenage sense. It’s not trendy. But it moves like no other music does – sometimes so deeply it breaks me into a thousand pieces.
And what was true for teaching is just as true in photography: If I want people to listen, I have to give everything to share my enthusiasm. If I can’t manage that, I have no right to hope the spark will catch.
“Refraiming the score” oder „Niemand interessiert sich für Fakten.“ (Henri Cartier-Bresson)
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Ich kenne kaum ein fotografisches Genre, auf das dieses Zitat besser zutrifft als auf die Konzertfotografie – und ganz besonders auf die Orchesterfotografie.
Warum?
Erstens weiß jeder, wie ein Orchester aussieht. Zweitens lässt sich Musik nicht fotografieren. Punkt.
Und trotzdem versuchen wir’s. Der einzige Weg, diesem Ding namens Orchesterfotografie überhaupt eine Chance zu geben, führt über Emotion. Gefühl statt Fakten. Gänsehaut statt Geigenkasten.
Genau diesem Ansatz wird in der Orchesterfotografie allerdings erschreckend wenig Beachtung geschenkt – und das, obwohl das Zitat von einem der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts stammt.
Schauen wir uns das Ganze doch mal etwas genauer an:
Für mich gibt es zwei Arten von Orchesterfotografie – die professionelle und die amateurhafte. Beide haben ihre Berechtigung, gerade in Sachen Marketing. Und doch fehlt mir bei beiden oft das Entscheidende: Die Magie. Das, was berührt. Das, was mich daran hindert, weiter zu scrollen. Stattdessen sehe ich meist nur das, was ich ohnehin schon weiß – was jeder weiß. Und jeder urteilt nach dem, was er zu Gesicht bekommt.
Was mich dazu veranlasst hat, den “score zu refraimen” ist die Tatsache, dass mich die meisten Fotografien eben nicht berühren. Sie hinterlassen kein Gefühl der Neugierde. Das ist fatal, da es um die vielleicht größte künstlerische Errungenschaft geht, die die Menschheit je hervorgebracht hat.
Was nämlich viele nicht wissen, ist, dass klassische Musik keineswegs elitär oder steif ist. Das zu zeigen ist meiner Ansicht nach die Kernaufgabe eines Orchesterfotografen. Emotion. Hingabe. Leidenschaft. Persönliche Momente. Kleine Blickwechsel. Große Gefühle. Harte Arbeit. Augenblicke, in denen Musiker:innen einfach mal nicht das tun, was man erwartet. Und am allerwichtigsten: Bilder, die überraschen und Vorurteile aufbrechen. Und das zeigt man am besten bei Probenarbeiten.
Auch wenn all das tatsächlich bei einer Orchesterprobe stattfindet: Es reicht nun mal nicht, dies in einem schnell geknipsten Bild festzuhalten und zu erwarten, dass ein Aha-Erlebnis stattfindet. Das Licht muss im Betrachter den Wunsch auslösen mehr zu sehen. Man muss das Bild fühlen. Die Emotionen müssen durch das Bild springen, sich festhaken, Gänsehaut machen, authentisch sein. Nur dann können die Fotografien der Musik auch nur ansatzweise gerecht werden. Die Bildsprache, das Kommunikationsmittel der Fotografie, spielt dabei die größte Rolle. Und kein Medium kann das besser als die Schwarzweißfotografie.
Solche Fotografien zu machen braucht Zeit, Geduld und Schweiß.
Aber die Musik hat’s verdient.
“Refraiming the score” or “Nobody cares about facts.” (Henri Cartier-Bresson)
I can hardly think of any photographic genre where this quote fits better than concert photography – especially orchestra photography.
Why? First, everyone already knows what an orchestra looks like. Second, music simply cannot be photographed. Period. And yet, we try. The only way to give this thing called orchestra photography a real chance is through emotion. Feeling instead of facts. Goosebumps instead of violin cases.
Yet, this approach is shockingly rare in orchestra photography – even though the quote comes from one of the 20th century’s most important photographers.
Let’s take a closer look: For me, there are two kinds of orchestra photography – professional and amateur. Both have their place, especially in marketing. And yet, both often miss the one thing that matters: magic. The spark that moves you. The moment that stops you from scrolling. Instead, we mostly see what we already know – what everyone already knows. And everyone judges what they see.
What made me want to “reframe the score” is simple: most photographs don’t move me. They don’t ignite curiosity. And that’s a tragedy, because we’re talking about perhaps the greatest artistic achievement humanity has ever created.
What many people don’t realize is that classical music is far from elitist or stiff. Showing that, to me, is the core mission of an orchestra photographer: emotion. Dedication. Passion. Intimate moments. Subtle glances. Big feelings. Hard work. Moments when musicians do something completely unexpected. And most importantly: images that surprise, that break stereotypes. And the best place to capture this is during rehearsals.
Even though all this is happening in a rehearsal, a quick snapshot isn’t enough. A photo must spark curiosity, make the viewer want more. You need to feel the image. The emotions have to leap off the frame, grab hold, give goosebumps, feel authentic. Only then can photography even begin to do justice to the music. The visual language – the way photography communicates – is key. And no medium expresses this better than black-and-white photography.
Creating images like this takes time, patience, and sweat. But the music deserves nothing less.