Authentizität vs “situative Inszenierung.”
Laut Duden bedeutet „authentisch“ „echt, wahrhaftig sein“, was – in Anbetracht einiger Ratgeber, die zeigen, wie man authentische Körpersprache erlernt oder ein authentischer Gentleman wird – im heutigen Kontext eine etwas abgenutzte Definition zu sein scheint. Man räumt dem Thema Authentizität tatsächlich große Bedeutung ein – in der Markenentwicklung, in der Persönlichkeitsbildung, im Bewerbungsgespräch, im Dating, in vielen Kunstformen und natürlich in der Fotografie.
Den Begriff „Authentizität“ mit Behind-the-Scenes-Fotografie in Zusammenhang zu bringen, halte ich für problematisch.
Warum?
Jemanden authentisch abzulichten, erfordert zunächst, dass ich diese Person wirklich gut kenne. Und selbst dann ist der Augenblick, in dem dieses Foto entsteht, nur einer aus einer Vielzahl anderer ebenso authentischer Momente, denen theoretisch eine gleich große Bedeutung zukommen könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass das Licht in jeder Situation eine maßgebliche Rolle spielt und die Aussage von Mimik und Körpersprache verfremden oder sogar einen völligen Konflikt in der Wahrnehmung auslösen kann.
Einige Ratgeber für für authentische Porträtfotografie empfehlen: “Bitten Sie Ihr Model, darüber nachzudenken, wann es zuletzt traurig war“. Da entsteht zwar eine dramatische Fotografie, aber sie zeigt nur den traurigen Teil der Persönlichkeit.
Völlig falsch ist dieses Vorgehen jedoch nicht – schließlich definiert sich Authentizität auch als Abgrenzung zur Inszenierung (sofern man davon ausgeht, dass permanente Fröhlichkeit nicht echt ist). Doch wenn man das obige Beispiel betrachtet, stimmt das so nicht, denn die Darstellung von Trauer ist ebenfalls eine Form der Inszenierung.
Situative Inszenierung
Behind-the-Scenes-Fotografie lebt davon, das zu zeigen, was dem Publikum in der Regel verborgen bleibt – die Momente, die nicht inszeniert sind.
Das stimmt natürlich – und auch wieder nicht.
Würde ich nicht mit meiner Kamera, wie ich es nenne, situativ inszenieren, also wie ein Regisseur die Faktoren Mensch, Raum und Licht möglichst wirkungsvoll kombinieren, sähen meine Fotografien von Orchestern aus wie ein beliebiges Familienalbum, das man bestenfalls ein mal jährlich hervornimmt.
Diese situative Inszenierung ist das, was mich an der Orchesterfotografie fasziniert:
Weder kann noch möchte ich in eine Szenerie eingreifen, noch habe ich den geringsten Einfluss darauf, wie sich Musikerinnen und Musiker gerade fühlen oder was sie gerade tun. Ich kann nur das erzählen, was gerade passiert.
Den Unterschied macht die Bildsprache.
Mein Job ist, möglichst unsichtbar zu sein und das, was ist, in einer Bildsprache zu fotografieren, die sich sowohl von der vertrauten Inszenierung als auch von Beliebigkeit abhebt.
Meine Aufgabe ist es, alle sichtbaren Faktoren – und das gewisse Unsichtbare – so zu kombinieren, dass sie im Betrachter Emotionen auslösen und die Fotografie in Erinnerung bleibt.
Die Bildsprache, die Licht, Perspektive, Raum und natürlich die Musiker:innen in sich vereint, bleibt dabei das zentrale Kriterium dafür, ob eine Fotografie als authentisch und spannend oder als belanglos wahrgenommen wird.
Dass ein Orchester aus Menschen besteht, die authentisch handeln und musizieren, steht außer Frage.
Meine Aufgabe ist nicht, deren Authentizität zu beweisen, sondern sie im Zusammenspiel von Licht, Raum und Augenblick für das Publikum erfahrbar zu machen.
Authenticity vs. “Situational Staging”
According to Duden, “authentic” means “genuine, truthful.” Yet, considering the abundance of guides teaching us how to master authentic body language or how to become an authentic gentleman, the term itself seems somewhat worn out in today’s context.
Authenticity has become a major theme — in branding, personal development, job interviews, dating, in many art forms, and, of course, in photography.
To connect the idea of authenticity with behind-the-scenes photography, however, is problematic.
Why?
Photographing someone authentically first requires truly knowing that person. Even then, the moment captured is just one among countless other equally authentic moments — each theoretically of the same significance.
Complicating matters further, light always plays a decisive role: it can alter or distort expressions and gestures, sometimes even creating a complete conflict in perception.
Some guides on “authentic portrait photography” suggest tips such as, “Ask your model to think about the last time they felt sad.”
The result may be dramatic, but it only reveals one emotional fragment of a person.
This approach is not entirely wrong — after all, authenticity is often seen as the opposite of staging (assuming constant happiness is not genuine).
Yet if we look closely, this isn’t true either, because the portrayal of sadness is, in itself, a form of staging.
Situational Staging
Behind-the-scenes photography thrives on showing what usually remains hidden — the moments that appear unposed.
That is, of course, true — and yet not entirely.
Without what I call situational staging — without combining people, space, and light as purposefully as a director might — my photographs of orchestras would look like a family album that one takes out perhaps once a year.
This situational staging is precisely what fascinates me about orchestra photography.
I neither can nor wish to intervene in what is happening, nor do I have any influence over how the musicians feel or what they are doing at any given moment.
All I can do is tell the story of what unfolds.
The difference lies in the visual language.
My task is to remain as invisible as possible and to capture what is there in a visual form that sets itself apart from both conventional staging and randomness.
I aim to combine all visible elements — and that certain invisible one — in a way that evokes emotion in the viewer and makes the image memorable.
This visual language — uniting light, perspective, space, and of course the musicians themselves — becomes the central criterion for whether a photograph feels authentic and engaging, or merely incidental.
That an orchestra is made up of people who act and play authentically is beyond question.
My task is not to prove their authenticity, but to make it perceptible — through the interplay of light, space, and moment.